1343 - Manons Feuerhölle
standen auf verschiedenen Seiten. So sehr ich mich bemühte, dies herauszufinden, ich fand die Brücke nicht, über die ich gehen musste.
Manon Lacre blieb gelassen. Nein, das war möglicherweise auch nicht der richtige Ausdruck. Sie wirkte entspannt, zufrieden, weil sie etwas Bestimmtes erreicht hatte. Aber sie hatte ihr Ziel noch nicht erreicht, das wusste ich auch, denn sie bewegte ihre dunklen Augen und schaute mich forschend vom Kopf bis zur Hüfte an.
»Was ist denn jetzt?«, fragte ich leise.
»Ich suche etwas.«
»Aha.«
Sie löste ihre Hände von meinen. Die Befürchtung, dass sie den Rover plötzlich in eine Feuerhölle verwandeln konnte, die war bei mir bis auf einen kleinen Rest vergangen.
In den letzten Sekunden hatten sich ihre Augen bewegt und nun das Ziel gefunden. Es war ganz klar, dass sie auf meine Brust starrte, und dort auf eine bestimmte Stelle.
Ich wusste, was sich dort befand. Da hing mein Kreuz. Und auch Manon Lacre schien es zu wissen, aber sie sprach mich darauf nicht an. Sie schaute nur. Ich ließ sie in Ruhe und überlegte, was dieser Blick zu bedeuten haben könnte.
Das Kreuz war mein Talisman. Ich als sein Träger war der Sohn des Lichts. Ich vertraute auf es. Dieses Kreuz war ein Bollwerk gegen die Mächte der Finsternis. Genau das musste auch die Frau neben mir wissen. Wenn sie mit der anderen Seite einen Kontakt aufgebaut hatte, dann konnte sie es nur hassen. Dann war das Kreuz für sie praktisch eine Mordwaffe. Da hätte sie vor ihm zurückweichen müssen.
Eigentlich hätte noch etwas geschehen können. Eine leichte Erwärmung, wenn vor mir eine mächtige Person gesessen hätte, die zur anderen Seite gehörte.
Das traf nicht zu. Angst oder auch nur eine leichte Furcht oder ein Unwohlsein zeigte sie nicht. Manon hatte von einem Katalysator gesprochen. Demnach musste dieser Kontakt zwischen ihr und meinem Kreuz hergestellt worden sein.
Wir hatten recht lange geschwiegen, und so stellte ich mal wieder eine Frage.
»Was suchst du?«
»Du hast es.« Sie deutete auf meine Brust.
»Das Kreuz?«
»Ja.« Die Augen flammten nicht, aber die Veränderung fiel mir schon auf. In ihnen war plötzlich eine Spannung und eine Erwartung zu lesen, die dafür sorgte, dass ich auch ohne die begleitenden Worte Bescheid wusste.
Sie wollte mein Kreuz!
Als dies für mich feststand, befand ich mich in einer Zwickmühle. Sollte ich es ihr geben? Und was würde geschehen, wenn sie es besaß? Würde sie eine Reaktion erleben. Würde das Kreuz dafür sorgen, dass sie plötzlich in Flammen aufging?
Das konnte sein. Das wäre sogar normal gewesen. Aber hier war alles anders. Mir kam es vor, als wären die alten Regeln auf den Kopf gestellt worden, und ich machte mich mit dem Gedanken vertraut, hier etwas völlig Neues zu erleben.
»Du willst es haben?«
Diese Frage beschäftigte sie emotional. Ein leichtes Zittern durchrann ihre Gestalt. »Ja, ich will und ich muss es haben. Es ist einfach wichtig für mich.«
»Warum?«
»Gib es mir!«
Ich zögerte noch. »Und du hast keine Angst davor, dass dieses Kreuz dich zerstören könnte?«
»Nein, die habe ich nicht. Ich will die Wahrheit erkennen. Ich will die Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Zukunft haben. Genau das ist es und nichts anderes.«
»Und da setzt du auf mein Kreuz?«
»Ich weiß, dass es so ist.«
Manon hatte sehr überzeugend gesprochen, und meine Zweifel lösten sich allmählich auf. Schon seit kurzer Zeit war ich davon überzeugt, dass ich Manon Lacre nicht mit den Personen vergleichen konnte, die ansonsten auf der anderen Seite standen. Sie war schon etwas Besonderes. Sie fieberte der Lösung eines Geheimnisses entgegen, und das ging eben nur über mein geweihtes Kreuz.
Da es noch keine Signale ausgesandt hatte, war ich einverstanden. Wenn Manon es so gewollt hatte, ging ich damit kein Risiko, weder für mich noch für sie, ein.
Das Hemd roch noch frisch, als ich es aufknöpfte. Nicht mehr nach Rauch und Verbranntem. Auch mich erfasste eine fast schon fühlbare Spannung. Immer mehr war mir bewusst, dass ich in dieser Umgebung und in einem Auto sitzend mit etwas konfrontiert werden würde, das man durchaus als gelinde Überraschung bezeichnen konnte.
Zwei offene Knöpfe reichten. Ich zupfte an der Kette. Dann zog ich das Kreuz hoch, ohne meinen Blick zu senken. Stattdessen behielt ich Manon Lacre im Auge, die jetzt sehr starr auf dem Beifahrersitz hockte und mich gespannt beobachtete.
Das Kreuz erschien.
Manon
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