1343 - Manons Feuerhölle
es vor meiner Brust. London war riesig. Es bot zahlreiche Verstecke, auch für Fremde. Da hätte ich lange suchen können, um…
Wieder meldete sich das Telefon.
Ich rechnete damit, dass es mein Freund Bill war. Da hatte ich mich geirrt.
»John?«, hörte ich die leise Frauenstimme.
»Du, Manon?« Im Hintergrund dudelte Musik. Auch Stimmen waren zu hören. Sie musste von einem Lokal aus telefonieren.
»Ja, ich.«
»Wo bist du?«
»Ich muss dich sehen.«
»Wo?«
»Am Piccadilly.«
»Wo dort?«
»Ich sitze auf dem Brunnenrand. Zusammen mit anderen Leuten. Da falle ich nicht so auf.«
»Ich soll dich also abholen?«
»Ja.«
»Und wie geht es dann weiter?«
»Ich werde dann in die U-Bahn steigen und losfahren. Ich muss diese Nacht überstehen.«
Ich wollte noch schreien, dass sie nicht fahren sollte. Dass es andere Wege gab, doch da hatte sie bereits aufgelegt. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihrem Vorschlag zu folgen, wobei ich meinen Freund Bill zuvor noch über Handy informierte, wo er sich einzufinden hatte…
***
Piccadilly Circus!
Wie Big Ben, der Tower oder Buckingham Palace gehört auch dieser Ort zu den Attraktionen der Stadt, die eigentlich jeder Fremde kannte. Dieser Kreisel war mehr als ein beliebter Treffpunkt. Er war Kult. Das nicht nur für Menschen, auch für die Tauben, die ihre Kreise zogen oder sich wie Statuen irgendwo hingehockt hatten.
Der Piccadilly ist auch so etwas wie ein Touristen-Magnet. Menschen aller Altersgruppen besuchen ihn, was sich in den späteren Stunden ändert, denn da wird er zu einem beliebten Treffpunkt der jüngeren Generation. Er ist verkehrsberuhigt worden, man kann schlendern und natürlich überall einen Sitzplatz finden. Der Vergleich mit der Spanischen Treppe in Rom war nicht mal weit hergeholt.
Und bei diesem unnatürlich warmen Novemberwetter saßen die Menschen noch in der Dunkelheit draußen, wenn auch dicker angezogen. Der Himmel meinte es gut. Er schickte keinen Regen, und die dunklen Wolken störten sowieso nicht.
Ich suchte Manon Lacre!
Dabei hatte ich Zeit genug, um über sie nachzudenken. Ich wollte versuchen, sie richtig einzuschätzen, was nicht einfach war. Für mich war sie im Prinzip eine unglückliche Person, denn sie wusste nicht, wohin sie gehörte. Natürlich musste man sie als einen Menschen – eine Frau – ansehen. Das Menschliche steckte auch in ihr.
Auf der anderen Seite allerdings ging ich davon aus, dass sie das Schicksal einer Wiedergeburt hinter sich hatte. Sie war zwar nicht als ein völlig anderes Wesen erschienen, doch in ihrer Brust schlugen zwei Seelen.
Da war zum einen die Normalität. Und zum anderen die Macht, die sie über das Feuer besaß. Und diese wiederum teilte sich in zwei Hälften. Ich hatte sie schon begriffen. Zu den damaligen Zeiten, in denen die Menschen sie als Hexe eingestuft hatten, musste sie tatsächlich einen Kontakt zur Hölle gehabt haben. Hölle und Feuer, das gehörte zusammen. Da hatte sich das Böse sehr nach den Vorstellungen der Menschen gerichtet.
Es gab auch den Engel Uriel. So etwas wie einen Schutzpatron für Manon Lacre. Er hatte sich entgegengesetzt verhalten. Er hatte nicht einfach zuschauen wollen, dass die andere Seite diese Person an sich riss. Deshalb hatte Uriel sich eingemischt und die Macht des Feuers auf seine Art und Weise reguliert.
Das konnten die Mächte der Finsternis nicht hinnehmen. Sie kämpften um jeden Menschen, um jede Seele. Auch hier hatten sie sich nicht anders verhalten. Sie wollten das Opfer nicht loslassen und das Feuer als Strafgericht schicken.
Wer letztendlich die Oberhand gewann, würde sich noch herausstellen. Natürlich ging ich davon aus, dass es nicht der Teufel sein würde. Ich wollte alles tun, um dagegen anzukämpfen.
Wind blies mir ins Gesicht. Meine Augen befanden sich in ständiger Bewegung.
Menschenmassen waren es zwar nicht, aber der Trubel reichte mir trotzdem. Ich näherte mich dem Zentrum des Kreisels. Dort wollte Manon auf mich warten.
Tauben flogen durch die Luft. Junge Leute ließen es sich gut ergehen. Pärchen hockten umschlungen auf den Steinen. Manchmal wehte mir der Geruch von Marihuana in die Nase. Der Boden sah kühl und feucht aus. Die bunten Reklamelichter machten die Umgebung zu einer unnatürlichen Welt, als hätte man unter freiem Himmel eine riesige Disco aufgebaut.
Ich kam mir ein wenig fremd in dieser Umgebung vor, aber ich gewöhnte mich auch recht schnell daran und konzentrierte mich auf das Wesentliche.
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