1345 - Gruft der Erleuchtung
etwaigen Besuchern die Tränen N'jalas abzuknöpfen. Wir haben die Säulen des ersten Sechsecks abgeleuchtet, bevor wir uns auf den Weg machten, und sie haben nicht reagiert. Offenbar mußte man erst das zweite Sechseck aufsuchen - erst dann öffnete sich der Weg. Vielleicht war das bereits ein Hinweis auf das, was wir in der nächsten Ebene tun sollen."
„Dorthin gehen, wo über uns das zweite Sechseck ist?" fragte Nikki zweifelnd. „Aber das ist absurd. Wer kann sich denn eine Richtung so genau merken ...?"
Sie sah die Kartanin an und winkte ab. „Schon gut", murmelte sie. „Zeige uns den Weg."
Poerl Alcoun hatte sich inzwischen einigermaßen erholt, aber sie war noch etwas wackelig auf den Beinen, so daß sie nur langsam vorwärts kamen.
Unterwegs dachte Nikki darüber nach, daß sie die Gruft ja auch wieder verlassen mußten. Wenn sie den Schläfer fanden und es ihnen gelang, ihn zu wecken, würde er sie hoffentlich nach draußen führen. Wenn sie aber keinen Erfolg hatten oder etwas mit dem Schläfer nicht in Ordnung war, würde es Schwierigkeiten geben. Und den Paratau, der ihnen im Notfall vielleicht aus dieser Falle herausgeholfen hätte, besaßen sie nun nicht mehr.
Sie schob diese Gedanken beiseite, denn sie sagte sich, daß sie später noch genügend Zeit haben würde, sich über diese Dinge den Kopf zu zerbrechen. Aber irgendwie ging ihr das Bild des Fremden nicht aus dem Kopf.
Die Gänge, durch die sie gingen, waren dunkel und leer. Ab und zu kamen sie durch runde Räume, von denen weitere Gänge abzweigten - es war wirklich ein Labyrinth. Türen entdeckten sie nicht.
Schließlich blieb Dao-Lin stehen.
„Hier muß es sein", sagte sie. „Wenn ich mich nicht sehr irre, befinden wir uns jetzt genau unter dem zweiten Sechseck."
Es gab keine Möglichkeit, diese Behauptung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Sie mußten sich auf Dao-Lins Orientierungssinn verlassen.
Sie standen wieder einmal in einem der kreisrunden Verteiler. Dunkle Gänge führten sternförmig in alle Richtungen, und nichts deutete darauf hin, daß es mit diesem Raum eine besondere Bewandtnis haben sollte.
„Was nun?" fragte Poerl ratlos. „Licht, Töne, irgendwelche kartanischen Geheimzeichen?"
Sie probierten alles mögliche aus, hatten jedoch keinen Erfolg.
„Vielleicht hast du dich geirrt", sagte Nikki schließlich zu Dao-Lin. „Es wäre doch möglich. Ich bin sicher, daß die Entfernung richtig ist, aber es mag die falsche Kammer sein. Wir sollten zurückgehen und es mit einem anderen Gang noch einmal versuchen."
Sie hatte nicht die Absicht gehabt, Dao-Lin zu kritisieren, und die Kartanin hätte Nikkis Worte unter anderen Umständen auch gewiß nicht so aufgefaßt. Aber die Sache mit dem Paratau hatte Dao wohl doch mehr mitgenommen, als sie eingestehen wollte.
„Wir sind am richtigen Ort!" fauchte sie in unerwarteter Heftigkeit.
Nikki prallte erschrocken zurück.
„Schon gut", murmelte sie hastig. „So habe ich es auch nicht gemeint. Beruhige dich!"
Aber Dao-Lin fuhr die Krallen aus, und plötzlich wirkte sie sehr gefährlich.
„Bei Tarkan, der Schrumpfenden!" schrie sie wutentbrannt. „Ich werde euch beweisen ..."
Weiter kam sie nicht, denn sie und ihre beiden Begleiterinnen hingen plötzlich in der Luft. Der Boden der Halle war verschwunden, und sie schwebten in die nächste Ebene hinab.
Dao-Lin war so verblüfft, daß sie kein Wort mehr sagte. Nikki dagegen konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen.
„Jetzt haben wir wenigstens ein Rezept", murmelte sie. „Wenn wir mal wieder nicht weiterwissen, machen wir sie einfach wütend."
Sie fing einen vorwurfsvollen Blick von Poerl Alcoun auf und lachte.
„He, Dao-Lin!" rief sie der Kartanin zu. „Willst du uns bei dieser Gelegenheit nicht endlich verraten, wen wir aufwecken sollen?"
Aber die Kartanin schien die Frage nicht gehört zu haben. Sie starrte fassungslos nach unten, wo sich eine zweite Öffnung gebildet hatte.
„Vielleicht haben wir es bereits geschafft!" flüsterte Poerl Alcoun aufgeregt. „Dao-Lin hat das Schlüsselwort genannt!"
Nikki Frickel schwieg. Sie hätte sehr gerne daran geglaubt, daß nun alle Schwierigkeiten ein Ende hatten, aber ein Gefühl sagte ihr, daß die Erbauer der Gruft niemals so leichtfertig gehandelt hätten.
Von Tarkan, der Schrumpfenden - was immer das auch in Wahrheit sein mochte - konnten auch Außenstehende erfahren. Es hatte auch nichts zu sagen, daß Dao-Lin den Begriff in der Sprache ihres Volkes
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