1345 - Gruft der Erleuchtung
Summen blieb für sie noch immer unhörbar.
Ansonsten ereignete sich nichts - bis Nikki durch einen reinen Zufall das leichte, flackernde Leuchten um Poerls Hände herum bemerkte.
„Die Scheinwerfer aus!" schrie sie entsetzt. „Weg von hier! Laß den Paratau fallen!"
Dao-Lin reagierte blitzschnell. Sie schleuderte den Behälter mit den Tränen N'jalas von sich, und dann rannten sie von dem aus Säulen gebildeten Sechseck fort. Dao-Lin, die ein großartiges Orientierungsvermögen besaß, führte sie instinktiv zu ihrem Ausgangspunkt zurück.
„Das schaffen wir nie und nimmer!" murmelte sie unterwegs.
Niemand antwortete ihr, denn Poerl und Nikki konnten es sich nicht erlauben, auch nur einen Atemzug zu verschwenden. Die Kartanin legte ein atemberaubendes Tempo vor.
„Licht!" keuchte Nikki, als sie den Platz unter dem Schacht erreichten, und sie hoffte verzweifelt, daß Dao-Lin sie nicht doch in die Irre geführt hatte.
Die Scheinwerfer flammten auf, und fast gleichzeitig gingen zuerst Poerl und dann Dao-Lin in die Knie. Sie stöhnten vor Schmerzen, weil sich nicht weit entfernt der Paratau aufzulösen begann. Spontane Deflagration nannte man so etwas, und Nikki wußte, daß es auch sie treffen würde. Obwohl sie die Lage für aussichtslos halten mußte, gab sie nicht auf. Sie nahm die beiden anderen Scheinwerfer noch dazu. Grelles, gebündeltes Licht traf die Säulen, eine nach der anderen, und sie antworteten darauf. Sie begannen zu glühen, so grell, daß Nikki die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenkneifen mußte und trotzdem kaum noch etwas erkennen konnte. Für einen Augenblick hatte sie den Eindruck, daß zwischen den Säulen glühende Wände entstanden. Dann wurde es dunkel um sie herum.
Im ersten Augenblick glaubte sie, daß sie in Ohnmacht fallen würde. Dann spürte sie, daß sie schwebte und nach unten getragen wurde. Sie legte den Kopf in den Nacken und erkannte über sich eine Öffnung, in der es flackerte und waberte.
Noch während sie hinsah, schoben sich blitzschnell schwarze Schatten vor das Licht. Dann war die Öffnung verschwunden.
Nikki spürte Boden unter ihren Füßen. Ihr Kopf schmerzte, und in ihrem Nacken stach es. Grelle Punkte tanzten vor ihren Augen. Sie hielt die Scheinwerfer noch in den Händen, aber entweder hatten die Dinger den Geist aufgegeben, oder sie war vorübergehend so gut wie blind, jedenfalls sah sie nichts außer den Funken.
Sie tastete um sich und spürte Dao-Lin und Poerl Alcoun, die sich nicht rührten. So gut es ging, untersuchte sie sie. Sie lebten. Unter den gegebenen Umständen gab es nichts, was Nikki für sie tun konnte, und so blieb sie sitzen und wartete ab.
Allmählich beruhigten sich die Funken, und ihr Sehvermögen kehrte zurück. Poerl und Dao-Lin atmeten ruhig wie im Schlaf. Die Scheinwerfer arbeiteten noch. Zuerst verschwommen, dann immer deutlicher sah Nikki um sich herum helle Wände mit dunklen Lücken darin. Es war ein sehr regelmäßiges Bild. Je besser sie sehen konnte, desto deutlicher erkannte sie den einzigen Fleck, der diese Eintönigkeit unterbrach.
Zwischen zwei dunklen Lücken befand sich ein Fleck, der allmählich Gestalt annahm.
Nikki Frickel und ihre beiden Begleiterinnen befanden sich in einem kreisrunden Raum, von dem sternförmig zahlreiche Gänge wegführten. Die Gänge waren finster, die dazwischen liegenden Wände hell. Und vor einer dieser hellen Wände hockte eine finstere Gestalt, die die drei Ankömmlinge mit starrem Blick zu fixieren schien.
Nikki starrte zurück. Als die Gestalt sich auch nach mehreren Minuten noch immer nicht rührte, tastete die Terranerin verstohlen nach der altertümlichen Pistole.
„Wer bist du?" fragte sie leise. „Was willst du von uns?"
Keine Reaktion.
Sie hob die Waffe und zielte auf den Fremden. Als er auch da noch nicht reagierte, stand sie vorsichtig auf und ging zu ihm hinüber.
„Wer bist du?" fragte sie noch einmal.
Als sie auch diesmal keine Antwort erhielt, beugte sie sich vor und berührte den Fremden an der Schulter.
Er kippte wie in Zeitlupe um. Es knisterte, als er den Boden berührte, und dann zerbrach er in mehrere Teile.
Der Kopf mit den beiden hervorquellenden, starrenden Augen rollte wie ein Ball über den Boden und zog eine dünne Spur von Staub hinter sich her. Auch einer der Arme rollte und staubte.
Nikki Frickel richtete sich langsam auf und starrte auf die Überreste eines insektoiden Wesens: Sie hatte keine Ahnung, wie der Fremde in die Gruft gelangt
Weitere Kostenlose Bücher