1348 - Asche zu Asche
sollte. Die Laute, die aus ihrem Mund drangen, hörten sich nicht mehr menschlich an. Es war nur ein Krächzen. Die Arme hatte sie angehoben, doch ihr Ziel, den Kopf, nicht erreicht.
Und trotzdem ging sie weiter. In dieser unnatürlichen und starren Haltung. Ihre Füße schleiften über den Boden. Sie konnte nicht glauben, was sie sah, aber sie schaffte es auch nicht stehen zu bleiben. Mehr stolpernd als gehend bewegte sich die Frau weiter auf die sitzende Cindy Mora zu, die sich tatsächlich vor ihren Augen auflöste, denn der Unterkörper war bereits zu Asche oder feinem Sand geworden.
Von der Seite her ging sie auf die Patientin zu. Sie sah ihr Profil, das so starr wirkte, als bestünde es aus Stein. Nichts bewegte sich im Gesicht, und die Krankenschwester fasste sich ein Herz.
Sie musste noch näher an die Sitzende herangehen, dann konnte sie es schaffen.
Die Frau drückte eine Hand auf den Kopf der Patientin.
Der Schädel gab noch in der gleichen Sekunde nach. Unter ihren Fingern zerbröselte er zu Staub, als wäre er niemals etwas anderes gewesen. Keine Muskeln, keine Haut, keine Sehnen, nur körniger Staub, der in die Tiefe sank.
Noch nie zuvor hatte in diesem Teil des Krankenhauses jemand so laut geschrien…
***
Dr. Haskeil kannte meine Telefonnummer nicht. So hatte er bei Glenda Perkins angerufen, zu der man ihn verbunden hatte. Er hatte nur eine Nachricht angeben können. Wir sollten so schnell wie möglich in die Klinik kommen, weil etwas Schreckliches geschehen war.
Glendas Alarmanruf hatte uns auf der Fahrt zum Krankenhaus erreicht. Da lag der größte Teil der Strecke bereits hinter uns. Wir sahen das Gebäude schon und rollten wenig später auf den kleinen Parkplatz, wo wir schon mal gestanden hatten.
Wir stiegen aus und hetzten mit langen Schritten auf den Eingang zu. An der Anmeldung wusste man bereits Bescheid. Wir wurden zum Wintergarten geschickt.
Zum Glück kannten wir den Weg. Aber wir hörten auch, wohin wir laufen mussten, denn vor der Tür standen mehrere Menschen zusammen. Wir sahen auch noch Schwestern, die Patienten in Sicherheit brachten. Ein Blick in die Gesichter reichte uns aus, um die Verstörtheit darin zu erkennen. Es musste etwas Schlimmes passiert sein.
Dr. Haskell hatte uns längst gesehen. Er ließ seine Kollegen stehen. Mit schnellen Schritten lief er uns entgegen. Sein Gesicht war hochrot geworden, in seinen Augen flackerte es.
»Bitte, bitte… es ist unbegreiflich, aber es gibt eine Zeugin. Ich habe es selbst nicht glauben wollen, aber wir haben alles so gelassen, damit Sie sich überzeugen können.«
»Was ist passiert?«, fragte ich.
»Cindy Mora ist…«, er konnte nicht mehr sprechen. Zumindest nicht das sagen, was wichtig war. »Sie müssen es sich selbst ansehen. Ich … ich … begreife das nicht.«
Wir waren schon unterwegs. Suko öffnete die Tür des Wintergartens. Uns bot sich ein anderes Bild als bei unserem ersten Besuch. Der Anbau hier war leer. Man hatte alle Patienten weggeschafft.
Auch Cindy Mora, wie ich nach einem kurzem Umschauen erkannte. Warum aber dann dieses Theater?
Dr. Haskell umfasste meinen Arm. »Kommen Sie mit, Mr. Sinclair.«
»Gut, ich…«
»Da, da… sehen Sie es sich genau an. Sie werden es nicht übersehen können.«
Ich sagte nichts. Nur ein paar Schritte waren wir gegangen. Suko befand sich ebenfalls an meiner Seite.
Er sah das Gleiche wie ich.
Der Stuhl auf dem Cindy Mora gesessen hatte, war leer. Nein nicht ganz. Auf der Sitzfläche verteilte sich noch ein wenig Asche.
Der größte Teil aber lag vor dem Stuhl auf dem Boden, und nicht mal Kleidungsstücke waren zurückgeblieben…
***
Nach diesem Anblick konnte ich das Verhalten des Mediziners verstehen. Für ihn, den Naturwissenschaftler, musste ein Weltbild zusammengebrochen sein.
Er hielt sich etwas von uns entfernt auf und putzte immer wieder mit dem Taschentuch über seine Stirn. Dazwischen hörten wir ihn sprechen, doch wir verstanden nicht, was er sagte.
Suko und ich gingen näher an den Stuhl heran. Der Sand oder die Asche sah bräunlich grau aus. Kaum zu glauben, dass sie vor kurzem noch ein Mensch gewesen war.
»Oh Gott!«, hörten wir den Arzt stöhnen. »Wie kann das passieren? Wie ist das möglich?« Er schüttelte den Kopf. »Ich… ich … kann mir wirklich nichts mehr erklären. So etwas gibt es nicht. Das ist furchtbar. Ein Mensch, der sich auflöst…«
»Asche zu Asche«, sagte ich.
»Was meinen Sie?«
Ich wiederholte den Spruch.
»Und
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