1348 - Asche zu Asche
zu bestehen, und legte sich wie ein Panzer über die gesamte Brust, wo sie sich noch stärker zusammendrückte.
Cindy öffnete den Mund.
Sie keuchte. Etwas drückte in ihre Kehle hinein wie ein dicker Pfropfen, der ebenfalls so kalt wie eine Eisstange war.
Sie konnte nicht sprechen, sich nicht bewegen. Sie war zu einer Statue geworden. Sie sah noch immer geradeaus, aber ihr Blick erfasste die trübe Winterlandschaft nicht mehr.
Etwas anderes hatte sich davorgeschoben. Ein Bild, das sie kannte, denn sie hatte es selbst durchlitten. Sie sah sich selbst, sah ihre leblose Gestalt, die ratlosen Ärzte, den Sarg, in den sie hineingelegt werden sollte.
Es war ein Albtraum. Sie sah sich sterben, sie sah das grelle Licht und danach Dunkelheit.
Dann erinnerte sie sich an eine Wellenbewegung, die sie immer weiter forttrug, die sich dann auflöste und ihr bestimmte Bilder schickte. Eine Straße, Menschen, eine Einfahrt, auch ein Kino. Ein altes mit Schwingtüren, die Griffe aus Messing besaßen.
Sie gingen in das Kino hinein. Sie hörte Stimmen. Sie sah die anderen Zuschauer und eine Leinwand, die ihr allerdings sehr fern erschien.
Cut!
Cindy erlebte wieder die grausame Kälte, die anders war als die in der Natur. Sie konnte nichts dagegen unternehmen. Die Kälte war einfach da, sie sorgte dafür, dass alles andere in ihr einfror. Es war ihr unmöglich, sich dagegen zu wehren, und Cindy merkte, dass die Kälte auch das Gesicht erfasste.
Über den Mund hinweg zog sie. Sie erreichte die Nase, danach die Stirn, den Haaransatz – und löschte alles aus.
Nichts mehr ging!
Cindy saß auf ihrem Stuhl, als wäre sie versteinert. Und das war sie auch auf eine bestimmte Art und Weise, denn Cindy konnte sich nicht mehr bewegen.
Sie war kein Mensch mehr. Die letzten Minuten hatten sie zu einer Statue werden lassen. Voll war es einer schlimmen Vergangenheit gelungen, zuzuschlagen.
Sie hörte nichts mehr. Sie sah auch nichts, und sie merkte nicht, was mit ihr geschah.
Die Hände hatte sie in den Schoß gelegt. Ruhe auf den beiden Oberschenkeln hatten sie gefunden.
Cindy selbst tat nichts, um das zu stoppen, was ihr jetzt bevorstand. Es fing an den Fingerspitzen an, die sich plötzlich auflösten.
Sie wurden weich. Es gab nichts mehr, was sie noch gehalten hätte.
Es begann mit einem feinen Rieseln, und jeder, der wollte, konnte sehen, wie sich die Finger auflösten.
An ihren Beinen rieselte es herab. Es konnte Staub, aber auch Sand sein, jedenfalls glitt alles dem Boden entgegen.
Es war ein unheimliches Bild, denn die sitzende Frau bewegte sich um keinen Millimeter. Sie schaute auch nicht zu, was mit ihr passierte, aber noch erlebte sie ein Gefühl.
Es war nicht mehr die Kälte, die sie erfasst hielt. In ihrem Inneren breitete sich eine wahnsinnige Hitze aus. Noch einmal sah sie ein Bild. Feuer, das mit seinen zuckenden Armen nach ihr griff. Ein Körper bäumte sich darin auf, und ein schreckliches Gesicht schoss auf sie zu. Dass es ihr eigenes war, von dem sich die Haut ablöste, bekam sie noch mit, dann sackten die Flammen zusammen, und auch die Hitze zog sich zurück.
Nichts mehr denken, nichts mehr sehen, das Leben endgültig abgeben…
Sie saß noch immer auf dem Stuhl. Aber sie war dabei sich aufzulösen. Die Arme waren bereits zur Hälfte verschwunden, und auch die Füße gab es nicht mehr. Wo sie sich noch vor kurzem befunden hatten, lagen zwei kleine Sandhügel oder Aschehaufen.
Da Cindy Mora im Hintergrund des Wintergartens saß, hatte sie niemand so recht beobachten können. Die Leute hier nahmen voneinander kaum Notiz. Aber man ließ sie auch nicht allein. Zu bestimmten Zeiten kam eine Schwester. Sie machte ihre Runde, um nachzuschauen, ob bei den Patienten auch alles in Ordnung war.
So war es auch jetzt.
Die Schwester ging ihre Runde, blieb hin und wieder neben einem Patienten stehen, um mit ihm einige Worte zu reden. Für jeden hatte sie auch ein Geschenk, ein Lächeln, übrig.
Sie näherte sich dem Platz, wo Cindy Mora saß.
Die Schwester kannte sich aus. Sie ging stets den gleichen Weg.
So waren ihre Schritte schon zur Routine geworden, von der sie auch nicht abwich. Sie hätte den Weg auch mit geschlossenen Augen gehen können. Wäre das so gewesen, hätte sie die grauenvolle Entdeckung viel später gemacht. So aber schaute sie hin – und sah Cindy!
Die Frau stoppte, als wäre sie geschlagen worden. Was sie mit ihren eigenen Augen sah, war unbegreiflich. Sie wusste auch nicht, was sie tun
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