1352 - Beute für den Sensenmann
Unsicherheit.
»Wir möchten Ihnen einige Fragen stellen. Sie sind Rose Dunn?«, fragte ich.
»Das bin ich.«
»Sehr gut.« Ich zeigte ihr meinen Ausweis und stellte auch Godwin und Suko vor.
Das war genau richtig gewesen, denn wir sahen, dass sie sich wieder entspannte.
»Sie können sich denken, worum es geht?«
»Nein.«
Das war zumindest zur Hälfte gelogen. Ich nahm es ihr nicht übel und erklärte ihr den Grund unseres Besuchs.
Unterbrochen wurde ich nicht, und als ich damit herauskam, dass wir mit Lilian sprechen wollten, schüttelte Rose den Kopf.
»Das geht nicht«, erklärte sie.
»Und warum nicht?«
»Lilian will mit niemandem reden.«
»Es ist aber wichtig, dass wir sie sprechen. Auch in Ihrem Interesse, Rose. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass ein Mörder frei herumläuft, und es sollte auch in Ihrem Sinne sein, dass wir ihn stellen.«
Sie hob die Schultern. »Das mag sein. Aber sie müssen auch Lilian Dexter verstehen. Sie hat Schlimmes erlebt. Jetzt schläft sie wohl. Dazu habe ich ihr geraten.«
»Nein, ich schlafe nicht!«
Niemand von uns hatte die Frau gehört oder gesehen, die jetzt die Gaststube durch eine Seitentür betrat. Es war Lilian Dexter. Wir sahen, dass die junge Frau tatsächlich rote Struwwelhaare besaß. Sie war sicherlich noch nicht alt, doch die Ereignisse hatten sie schon mitgenommen. Ihr Gesicht wirkte grau. Unter den Augen lagen Ringe, und die Züge wirkten eingefallen.
»Lilian, du…«
»Lass nur, Rose.«
»Wenn du meinst.«
Lilian wandte sich an Godwin, der ihr am nächsten stand. »Sie sind von der Polizei, nicht?«
»Ja«, gab er zögernd zu.
»Das ist gut. Da fällt mir eine Last vom Herzen.« Sie ging zu einem Tisch und setzte sich dort auf einen der harten Stühle. »Und es ist nicht gelogen, was ich Ihnen sage. Ich bin froh, dass jemand die Polizei gerufen hat, denn…«
»Pardon, wenn ich Sie unterbreche«, sagte Suko sehr höflich.
»Aber wir sind nicht gerufen worden. Sie und Ihr Freund sind praktisch diejenigen gewesen, die die Spur legten, die wir verfolgen mussten.«
Lilian Dexter zeigte sich verunsichert. »Wie ist es denn dazu gekommen?«
Suko spielte mit offenen Karten. Er spulte praktisch all das ab, was hinter uns lag. Und dass er ins Schwarze getroffen hatte, erkannten wir an Lilians Nicken. Sie gab auch zu, dass sie und ihr Freund den Schmuck hatten verkaufen wollen.
»Aber es hängt ein Fluch daran«, sagte sie mit leiser Stimme. »Das habe ich bemerkt.«
»Ich denke auch so. Aber wir wissen nichts Genaues.«
Inzwischen hatten wir uns zu Lilian gesetzt. Zuerst schaute sie verwundert, dann hatte sie sich daran gewöhnt.
»Im Großen und Ganzen wissen wir Bescheid«, sagte Godwin und schaute sie dabei mit seinen hellen Augen an. »Wir möchten nur gern Einzelheiten hören, und die können nur Sie uns geben.«
Lilian leckte über ihre Lippen. Dann sprach sie davon, dass ihr wohl niemand glauben würde.
»Versuchen Sie es trotzdem«, munterte ich sie auf.
Rose Dunn brachte Lilian und uns Kaffee. Es war genau das, was wir jetzt brauchten. Sie bot auch Alkohol an, darauf verzichteten wir jedoch. Es war wichtig, was uns die junge Frau zu sagen hatte.
Allein das zählte.
Sie redete. Wohl jeder von uns hatte den Eindruck, dass sie irgendwie froh war, ihre Sorgen loszuwerden. Und so erfuhren wir wieder mal eine unglaubliche Geschichte, doch das waren wir gewohnt.
Sie und ihr Freund hatten zu den Schatzsuchern gehört. Dass sich die Idee in Orrys Hirn entwickelt hatte, glaubten wir Lilian gern. Sie berichtete davon, wie sehr sich Orry angestrengt hatte, um die Standorte der gesunkenen Schiffe zu finden. Die meisten lagen zu weit draußen auf dem Meer. Schließlich aber hatte er die Stelle entdeckt, wo die Santa Christina gesunken war. Und das sogar recht nahe der Küste. Er hatte auch etwas über die Ladung des Schiffes erfahren, war in eine regelrechte Euphorie hineingeraten und hatte sich schon als Millionär angesehen.
»Dann seid ihr hier getaucht?«, fragte Suko. »Im Winter? Bei diesem kalten Wetter?«
»Nein, das mussten wir nicht.«
»Aber sie haben doch…«
Suko unterbrach sich selbst, als er das schiefe Lächeln auf den Lippen der Frau sah. »Ja, das haben wir. Aber wir hatten auch Glück. Das Schiff ist zwar gesunken, und es liegt auch auf dem Grund des Meeres, aber eine besondere Strömung ist uns hold gewesen. Oder wie auch immer. Jedenfalls fanden wir die Ladung, auf die es uns ankam, nicht im Meer, sondern in
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