1356
Aufblitzen! In seiner Panik und Angst dachte er, es müssten Tauben sein. Bei Nacht? Zum dritten Mal jagte etwas Weißes vorbei, und hinter ihm ertönte ein Schrei, und da wusste er, dass es Pfeile waren. Pfeile mit einer Befiederung aus Gänsefedern, Pfeile aus England peitschten durch die Dunkelheit auf die Männer zu, die hinter ihnen aus der Burg kamen. Einer landete auf dem Weg, schleuderte an Roland vorbei, und dann plötzlich hörte der Pfeilbeschuss auf, als vier Reiter, die Schwerter gezogen, über das Feld galoppierten, und die Pferde donnerten an den Flüchtenden vorbei, drehten um, und dann fuhren die langen Klingen auf ihre Verfolger nieder. Die Reiter hielten nicht an, sondern blieben dicht hinter Roland, und dann flogen die Pfeile wieder, jagten unablässig durch den offenen Gang des Torbogens, in dem sich die Armbrustschützen drängten.
Dann waren die Flüchtenden auf einmal von Männern mit Langbögen umringt, während die Reiter einen Schutzschild hinter ihnen bildeten. Immer weiter bewegten sie sich von der Burg weg, bis sie schließlich den Wald erreichten, und dort fiel Roland auf die Knie. «Lieber Gott», sagte er, «ich danke dir.» Er keuchte, zitterte, und er hielt immer noch Hughs Hand fest.
«Sire?», fragte Hugh ängstlich.
«Du bist in Sicherheit», erklärte ihm Roland, dann kam jemand, nahm das Kind hoch und trug es weg.
«Sam», rief eine schroffe Stimme, «stell ein Dutzend Männer am Waldrand auf. Bögen gespannt! Die Übrigen! Zurück zum Bauernhof. Bruder Michael! Wo seid Ihr? Kommt her!»
Roland sah, wie sich die Männer um Genevieve drängten. Er kniete immer noch. Die Dunkelheit war von aufgeregten englischen Stimmen erfüllt, und Roland hatte sich kaum jemals so einsam gefühlt. Als er sich umsah, stellte er fest, dass die mondbeschienene Wiese zwischen dem Wald und der Burg menschenleer war. Wenn der Comte de Labrouillade oder Vater Marchant eine Verfolgung planten, hatte sie noch nicht begonnen. Roland dachte darüber nach, dass er lediglich versucht hatte, ehrenhaft zu handeln, und dadurch nun sein Leben auf den Kopf gestellt war. Michel tippte ihm auf die Schulter. «Ich habe Eure Stiefel verloren, Sire.» Roland antwortete nicht, und Michel ging neben ihm in die Hocke. «Sire?»
«Das ist unwichtig», sagte Roland.
«Ich habe die Stiefel und die Pferde verloren, Sire.»
«Das ist unwichtig!», sagte Roland schärfer als beabsichtigt. Was sollte er jetzt tun? Er schloss die Augen, bat um Führung, dann wurde ihm bewusst, dass ihm jemand ins Gesicht atmete. Er erschauerte, dann spürte er eine feuchte Zunge, die ihn ableckte, und als er erschreckt die Augen öffnete, sah er ein Paar Wolfshunde vor sich stehen.
«Sie mögen Euch!», sagte eine fröhliche Stimme, doch weil der Mann Englisch sprach, wusste Roland nicht, was er gesagt hatte. «Jetzt kommt dort weg, ihr zwei», fuhr der Mann fort, «nicht jeder lässt sich gern von einem Paar verdammter Jagdhunde taufen.»
Die Hunde trollten sich, und Thomas of Hookton baute sich vor Roland auf. «Messire?», sagte er, und seine Stimme war respektvoll. «Soll ich Euch töten oder Euch danken?»
Roland starrte zu
le Bâtard
hinauf. Der jungfräuliche Ritter zitterte immer noch und wusste nicht, was er sagen sollte, also wandte er sich um und sah zu der Burg hinüber. «Werden sie angreifen?», fragte er.
«Natürlich nicht», sagte Thomas.
«Natürlich nicht?»
«Sie waren im Halbschlaf oder halb betrunken. Vielleicht sind sie ja im Morgengrauen so weit nüchtern, um einen Ausfall zu machen. Aber das bezweifle ich. Und aus diesem Grund müssen meine Männer zwei Regeln befolgen, Messire.»
«Regeln?»
«Sie können sich nach Herzenslust betrinken, aber nur, wenn ich es ihnen erlaube. Und keine Vergewaltigungen.»
«Keine …», fing Roland an.
«Es sei denn, sie wollen am nächsten Baum aufgehängt werden. Wie ich höre, wollte Labrouillade meine Frau vergewaltigen?», fragte Thomas, und Roland nickte bloß. «Dann schulde ich Euch meinen Dank, Messire», sagte Thomas, «denn was Ihr getan habt, war tapfer. Also danke ich Euch.»
«Eure Frau …»
«Sie wird überleben», sagte Thomas, «vielleicht mit nur einem Auge. Bruder Michael wird tun, was er kann, aber viel wird das nicht sein, fürchte ich. Allerdings bin ich nicht sicher, dass ich ihn weiterhin
Bruder
Michael nennen sollte. Aber was er jetzt ist, weiß ich auch nicht recht. Kommt, Messire.»
Roland ließ sich aufhelfen und durch den Wald zu dem
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