136 - Chopper ruft die Leichen-Ladies
das Sickerlicht der Laternen, die die
nächtlichen Parkwege beleuchteten. X-RAY-7 wäre am liebsten aufgesprungen und
hätte dem rätselhaften und widerlichen Spuk ein Ende bereitet. Aber er konnte
nicht mal den Finger krumm machen. Marina hatte mit ihrer Hexenkraft ganze
Arbeit geleistet. In die Stille, die ihn - wie es ihm vorkam - seit Stunden
umgab, mischte sich plötzlich ein Geräusch. Es war sehr leise, dennoch bekamen Kunaritschews sensiblen Sinne es mit. Ein Gewand
raschelte, und die mittlere Leiche richtete sich plötzlich ruckartig auf und
stieg über den Sargrand.
„Hallo!“, knarrte aus dem bleichen,
zusammengekniffenen Mund eine unheimliche und vertraute Stimme. „Ich wollte
doch auch mal nach dir sehen ...“
Das war Chopper! Der Unsichtbare hatte von
einer der schaurig aussehenden Leichen Besitz ergriffen und stiefelte auf
Kunaritschew zu. Die Frau war groß und schlank, und das fein säuberlich gelegte
Haar sah aus, als käme sie gerade vom Friseur. In dem starren, fahlen und
pestartig zersetzten Gesicht regte sich kein Muskel. Der Leichen-Lady war
anzusehen, dass Chopper sie als Wirtskörper benutzt hatte. Jeder, der mit ihm
in Berührung kam, jeder, den er sich als Behausung auswählte, war verloren. Das
Gesicht zerfiel, der Kontakt mit der dämonischen Wesenheit führte danach über
kurz oder lang zum Tod. Chopper hatte deshalb immer wieder seine Wirtskörper
wechseln müssen weil keiner lange genug durchhielt. Nun war eine neue
Entwicklung eingetreten, die Iwan Kunaritschew praktisch vor Augen geführt
wurde. Chopper sprang nicht mehr von einem lebenden Körper in den anderen, er
bediente sich gleich toter Personen. Dies war anfangs nicht möglich gewesen,
und Iwan erkannte daraus, dass die unseligen Kräfte der beiden, die
zusammenarbeiteten, weiter erstarkt waren. Dass Chopper ausschließlich
weibliche Körper wählte, schien dabei ebenfalls einen besonderen Grund zu
haben. Entweder fühlte er sich in einer weiblichen Leiche wohler, oder das
Ganze hatte seinen Grund in dem makabren Hexenspiel, das sie eingeleitet
hatten.
Iwan hätte gern einige entsprechende
Bemerkungen gemacht, um Chopper aus der Reserve zu locken. Seine Stimmbänder
aber versagten den Dienst, und seine Zunge lag gefühllos wie ein Fremdkörper in
seinem Mund. Die Leichen-Lady streckte ihre Rechte nach Kunaritschew aus.
Instinktiv wollte Iwan den Kopf zur Seite drehen. Das ging aber nicht. Die
kalte, faltige Hand berührte ihn und kratzte trocken über seine Haut. Chopper
kicherte teuflisch. „Bald werden wir noch enger miteinander zu tun haben“,
knarrte die Geisterstimme. „Du sollst bei vollem Bewusstsein deinen Untergang
miterleben. Das kann schnell gehen. Wir warten nur noch auf einen Besucher, dem
wir dieses Schauspiel nicht entgehen lassen wollen: Larry Brent heißt er.
Geteilte Freude - ist doppelte Freude, sagt man doch unter euch Menschen, nicht
wahr?“, fügte er zynisch hinzu. „Ich werde dich jetzt wieder allein lassen. Es
gibt noch einiges zu tun für mich. Uns stehen zwar schon wichtige Helfer zur
Verfügung, aber noch sind es zu wenig. Für jede Hexe, die den Flammen der
Inquisition zum Opfer fiel, die geschändet, gepfählt und gefoltert wurde und
deren Seele zur Rückkehr bereit ist - sind sieben Tote auf dieser Seite der
Welt notwendig. Ich werde noch für ein paar weitere in dieser Nacht sorgen. Das
Problem der Unterkunft stellt sich uns nicht, wie du siehst. Es gibt genug
Räumlichkeiten hier im Sanatorium, und Särge gibt’s auch genug. In Windhuk und
in den anderen Städten. Überall, wo welche bereitstehen, holen wir sie einfach
weg ...“
Die Leichen-Lady, in der der unselige Geist
Chopper sich etabliert hatte, schnippte einmal mit den Fingern. Es sah fast
elegant aus. Die Tote fuhr Kunaritschew durch das wuschelige rote Haar, lachte
knarrend und durchquerte dann den kahlen Raum. Das Rascheln des Gewandes
verebbte, leise ging die Tür, dann huschte die Leiche hinaus auf den breiten
Gang, wo die Türen der anderen Zimmer mündeten. Chopper war unterwegs, und -
gebunden in einen dreidimensionalen Körper - war er damit auch allen Nachteilen
eines solchen ausgeliefert. Damit konnte er nicht durch die Wände gehen, nicht
durch die Luft schweben. Es sei denn, Marina, die Hexe, hätte ihn mit ihren Kräften
unterstützt.
Aber Marina weilte nicht in der Nähe. Sie
hielt sich zur gleichen Zeit im Park auf. Die Abfahrt des Cadillac war ihr nicht entgangen. Sie trat hinter einem Baum hervor, als
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