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136 - Im Schloss der Daa'muren

136 - Im Schloss der Daa'muren

Titel: 136 - Im Schloss der Daa'muren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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im Wald. Es gab keine Wege, keine Lichtungen, kein freies Feld – nur mächtige dunkle Karpatenbäume. Die meisten waren Tannen. Man konnte relativ angenehm unter ihnen her gehen, weil ihre Äste erst in Kopfhöhe begannen und der Boden mit einer weichen, federnden Nadelschicht bedeckt war. Zwischen ihnen ragten jedoch auch lange Reihen von Laubbäumen auf. Sie waren noch fast kahl um diese Jahreszeit und ließen sich gut als Orientierungshilfe nutzen, denn hinter ihren Wipfeln, auf dem Hügel, lag die Burg. Rings um ihre Stämme aber wucherte Gesträuch, das wiederum von großblättrigem Efeu durchzogen war, und von dort kam das Knacken.
    Jenny wandte sich unruhig an Matt. »Wir sollten vielleicht nachsehen!«
    Matt hatte noch nicht Luft geholt, um zu antworten, da drehte sich die Barbarin um.
    »Wenn du etwas hörst im Wald, kannst du davon ausgehen, dass es ungefährlich ist«, sagte sie zu Jenny. Aruula zeigte auf die dunklen Büsche. »Jäger sind immer geräuschlos unterwegs!«
    Sie hatte nicht gelächelt, und ihr Ton war sachlich gewesen.
    Dennoch fühlte sich Jenny angegriffen.
    Es sind nur die Nerven, sagte die blonde Frau zu sich selbst.
    Ich sehe nur deshalb plötzlich überall Feinde, weil ich Angst um Annie habe, das ist alles.
    Doch das war keineswegs alles, und das wusste Jenny auch.
    Matt hatte ihr von dem Albtraum erzählt, den Aruula vor zwei Jahren am Kratersee durchlebt hatte. Von dem Schiff, das draußen in der Nacht unterwegs gewesen war; von der rätselhaften Stimme, die nur Aruula hören konnte: Komm zu uns! Du gehörst der Macht!, und von dem tentakelbewehrten Monster im See. Aruula war im sechsten Monat schwanger gewesen, als die Nacht des Horrors begann. Als es endlich Morgen wurde, hatte sie ihr einziges Kind verloren.
    Wir hätten sie nicht mitnehmen sollen!, dachte Jenny. Sie ist die Geliebte des Vaters meiner Tochter! Und wenn ich Aruula tausend Mal erzähle, dass Matt und ich nur Freunde sind –
    Tatsache ist: Ich habe ein Kind von ihm. Sie nicht. Was, wenn Aruula damit Probleme hat? Was, wenn sie Annie, Matt und mich als kleine Familie ansieht und befürchtet, an den Rand gedrückt zu werden, wenn wir erst wieder vereint sind? War es wirklich nur ein Zufall, dass Canada ausgerechnet jetzt erkrankt ist?
    Jenny schrak auf, als Matt und Aruula sich gleichzeitig nach ihr umdrehten. Sie hatte laut geseufzt und es nicht gemerkt vor lauter Grübeln. Matt trat heran und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Er lächelte.
    »Wir schaffen das!«, sagte er mit Nachdruck. »Glaub mir doch!«
    »Ich wünschte, ich hätte deine Zuversicht!« Jenny zeigte flüchtig auf die Baumwipfel und die Burg dahinter. Das Gemäuer irritierte sie. Irgendwann musste sie fragen. Warum also nicht jetzt. »Und wenn du dich geirrt hast, Matt?«
    Die Daa’murin Est’sil’aunaara, der man durch einen Trick den Aufenthaltsort seiner Tochter hatte entlocken können, war ungenau geblieben mit ihren Angaben.
    »In den Bergen, die in den alten Karten ›Karpaten‹ heißen, liegt ein Schloss, nahe des Flusses, den sie ›Trotus‹ nennen. Dort findest du sie«, hatte sie gesagt, und irgendwie war daraus für Matt und Jenny die Schäßburg geworden. Zu Anfang hatte das ganz logisch geklungen, aber je näher die Gefährten ihrem Ziel kamen, desto größer wurde Jennys Angst – und mit ihr wuchsen die Zweifel.
    Die junge Frau packte Matt an den Ärmeln. »Hast du mal darüber nachgedacht, warum dir die Schäßburg ohne jedes Zögern eingefallen ist?« Die Anspannung stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie ihre eigene Frage beantwortete. »Weil es das einzige Schloss in Rumänien ist, das du kennst, darum!«
    »Aber ich…«, stammelte Matt. Jenny ließ ihn nicht ausreden.
    »Du hättest nie an diese Burg gedacht, wenn nicht irgendein Idiot ein Buch geschrieben hätte, das andere Idioten verfilmt haben, damit Oberidioten wie wir denken: ›Ein Schloss in den Karpaten? Klar, kenn ich. Das ist das von Dracula‹!«
    Matt war verdattert, und man sah ihm an, dass er sich weit weg wünschte. Jenny merkte nicht, dass er Aruula einen Hilfe suchenden Blick zuwarf. Die Barbarin erwiderte ihn düster, wandte sich ab und ging weiter.
    Es dauerte einen Moment, dann hatte sich Jenny wieder unter Kontrolle. »Tut mir Leid«, murmelte sie, zog die Jacke zurecht und setzte sich in Bewegung. Matt hielt sie fest.
    »Sag mal, was ist eigentlich los mit dir?«, fragte er halblaut, und seine Stimme klang gereizt. »Erst kommst du Aruula

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