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136 - Im Schloss der Daa'muren

136 - Im Schloss der Daa'muren

Titel: 136 - Im Schloss der Daa'muren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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Die fremde Stimme klang exakt wie seine eigene, das war seltsam. Aber es hielt ihn nicht davon ab, blindwütig loszustürmen.
    Er war, wie seine Artgenossen, nur mit mäßiger Intelligenz bestückt und unterschied sich von einem Pitbull hauptsächlich dadurch, dass der Kampfhund eher aufgeben würde als er. In diesem Fall jedoch hätte zugegebener Maßen auch ein normaler Verstand nichts genützt.
    Wie eine Furie kam der bissige Spikkar um die Bäume gefegt, dass das Laub vom letzten Herbst nur so aufwirbelte.
    Die raschelnden Blätter hatten den Boden noch nicht wieder berührt, da war er tot. Eine einzige peitschende Bewegung hatte genügt.
    ***
    Florins Welt
    Der Neunjährige atmete auf. Die Geräusche im Tann hatten zuerst auf Wildschweine hingedeutet. Doch es war eine Elchkuh mit ihrem Jungen. Florin bewegte sich nicht, als die großen Tiere knapp vor ihm über den Weg wechselten. Er schluckte nur unwillkürlich. Elche sah man nicht oft in den Karpaten, und es war auch nicht ratsam, sich ihnen unbewaffnet zu nähern. Aber sie schmeckten so gut!
    Zumindest denen, die sie jagen durften.
    Florin trat zurück auf den Waldweg, klopfte sich herabgefallenen Schnee von der Jacke und ging weiter. Vom Dorf bis zur Burg brauchte man ungefähr eine halbe Stunde, und bis Mitternacht musste das Geheimversteck erreicht sein.
    Denn Schlag zwölf war Wachablösung – und nur dann, in einem Zeitrahmen weniger Minuten, konnte man das Gold der Siebenbürger Sachsen stehlen, ohne getötet zu werden.
    Florin brauchte das Gold unbedingt. Wenn es zu still wurde im nächtlichen Wald und zu unheimlich, dachte er an Mama, und an seine sechs Geschwister. Das half. Sieben waren es eigentlich. Aber Radu zählte nicht mehr, denn er war tot.
    Der Weg führte nun stetig aufwärts, und die Tannen wurden lichter. Florin sah ein Blinken in der Ferne, irgendwo zwischen den Bäumen. Wie von hundert Fackeln.
    Er nickte wissend. Das war die Schäßburg! Dort gab es jetzt bestimmt ein großes Bankett für die Gäste der anstehenden Wolfsjagd. Florin malte sich aus, wie es sein würde: Ein großer Festsaal, warm und hell. Flötenspieler, die lustig aufspielten.
    Lange Holztische, an denen die Gäste saßen und ihre feinen Damen unterhielten, während Diener die Speisen herein trugen.
    Florin schluckte erneut. Sein Magen war leer. Das war er meistens, aber man konnte sich nicht daran gewöhnen, und der bloße Gedanke an ein Bankett trieb einem die Spucke in den Mund. So viele Speisen! Gebratenes, Früchte, Käse und weißes Brot! Und Wein. Den gab es im Dorf auch. Allerdings wurde er mit reichlich Wasser gestreckt, denn er musste ja für alle reichen.
    Der Neunjährige duckte sich unwillkürlich, als ein Schatten über ihn hinweg strich. Es war eine weiße Eule, ziemlich groß und ohne jeden Fleck im Gefieder. Sie machte kein Geräusch, und der Schlag ihrer Schwingen verursachte keinen Luftzug.
    Das konnte Florin daran erkennen, dass nicht eine Schneeflocke von den Ästen fiel, obwohl die Eule sie knapp überflog.
    Florin bekreuzigte sich schnell. Vielleicht ist das der Geist von Muhme Rodica!, dachte er und schlug zur Sicherheit gleich noch ein Kreuz. Man musste vorsichtig sein. Es gab viele Geister in den Karpaten, und die wenigsten von ihnen waren freundlich. Muhme Rodica zum Beispiel hatte keinen Grund, freundlich zu sein. Aber Florin würde sie vielleicht nichts tun, denn er hatte sie gemocht, auch wenn sie anscheinend eine Hexe gewesen war.
    Die Muhme hatte am Dorfrand gewohnt, gleich neben der Wassermühle. Im Sommer war sie oft tagelang in den Wäldern verschwunden, und wenn sie wiederkam, brachte sie allerhand Kräuter und Pilze und Beeren zurück. Die wurden dann getrocknet und zerstoßen. Muhme Rodica bewahrte das Pulver in kleinen braunen Glasflaschen auf, und sie konnte angeblich wundersame Dinge damit tun.
    Pater Miliescu fand das nicht gut, und er nannte sie eine Hexe. Das wiederum gefiel dem Dorfvogt nicht, denn eine Hexe im Dorf bedeutete Besuch aus der Stadt – von Leuten, die ein Kirchengericht hielten und viele Goldstücke verlangten, ehe sie wieder abzogen.
    Sie hätte die Kuh nicht heilen sollen!, dachte Florin. Aber genau das hatte Rodica getan: Als die verrückte Braune von Oheim Mihai keine Milch mehr geben wollte, war die Muhme gekommen und hatte ihr das Euter mit einem Kräuterbrei eingerieben. Am nächsten Morgen floss die Milch wieder. Man hatte die Muhme dann verbrannt.
    Florin blickte den Weg hinauf, und seine Schritte

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