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136 - Im Schloss der Daa'muren

136 - Im Schloss der Daa'muren

Titel: 136 - Im Schloss der Daa'muren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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mit diesen haltlosen Anschuldigungen wegen Canada, jetzt unterstellst du mir, ich würde mich an Filmen statt an Fakten orientieren – was soll das, Jenny? So kenne ich dich gar nicht!«
    »So bin ich auch nicht. Normalerweise.« Jenny schüttelte den Kopf. Sie unternahm ein paar Anläufe, etwas zu sagen, aber letztlich kam nur heraus: »Ich mach mir einfach Sorgen um Annie, das ist alles!«
    »Klar doch«, sagte Matt trocken.
    Jenny hob die Schultern. »Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll.«
    »Herrgott, dann versuch es doch einfach mal!«
    Er würde es nicht verstehen!, dachte sie. Was sollte ich ihm auch sagen? He, Matt, ich habe Angst davor, dass meine Tochter mich nicht mehr liebt? Dass sie mich fragt, warum, verdammt noch mal, ich erst nach einem halben Jahr erscheine, um sie zu retten?
    Jenny teilte das Schicksal aller Mütter: Sie wurde von dem Gedanken gequält, nicht genug für ihr Kind getan zu haben.
    Schlaflose Nächte, Tränen und verzehrender Kummer zählten da nicht, denn sie hatten Ann nicht zurück gebracht.
    Außenstehende wussten nichts von den verzweifelten Aktionen, die Jenny immer wieder im Verborgenen gestartet hatte – von der zweiten Spurensuche im Luukwald, wo Ann verschwand; von bezahlten Informanten, die jeden Reisenden vorsichtig aushorchten, und von den nächtlichen Krisensitzungen mit treu ergebenen Offizieren. Alles war unter strengster Geheimhaltung gelaufen, nichts davon war publik geworden. Deshalb gab es auch so Manchen im Palast von Beelinn, der die junge Frau für ziemlich kühl hielt und sich fragte, wie die Königin ihren Tagesgeschäften nachkommen konnte, statt eine Armee zu mobilisieren und ihr Kind zu suchen.
    Jenny hätte anders gehandelt, wenn sie frei gewesen wäre.
    Doch der hübschen blonden Kanadierin aus der Vergangenheit stand ein Wort im Weg: Disziplin. »Erst der Job, dann das Privatleben« – so hatte es Flight Lieutenant Jenny Jensen gelernt, und so hatte es die Königin von Beelinn fortgesetzt.
    Jenny wischte sich über die Augen. Irgendwo im Unterholz knurrte ein Spikkar. Die junge Frau ignorierte ihn.
    »Habe ich unsere Tochter im Stich gelassen, Matt?«, fragte sie leise.
    »Quatsch, wieso denn? Du bist doch hier!«, sagte Matt.
    Aruula drehte sich um.
    »Wir sind alle hier«, verbesserte sie, und Jennys ohnehin nur dünnes Lächeln erlosch.
    Sie verachtet mich! Jenny presste die Lippen zusammen.
    Aruula hat Matt im EWAT nicht ohne Grund erzählt, wie Kinder auf den Dreizehn Inseln behütet werden, o nein! Du hast versagt, Jenny!, sollte das heißen. Was hat sie vor? Will sie allen beweisen, dass sie die bessere Mutter wäre?
    »Meerdu!«, fluchte Aruula plötzlich. Sie hatte auf etwas getreten, von dem sie glaubte, es sei ein Mooskissen, und war ins Erdreich eingebrochen. Stöhnend setzte sich die Barbarin hin und massierte den schmerzenden Knöchel.
    Das vermeintliche Mooskissen war ein Grüner Wanderling.
    Dieser große, von Lamellen überzogene Waldpilz gehörte zur Gruppe der Hallimasch und war ein Schädling, wie alle aus seiner Verwandtschaft. Er hatte die Eigenart, buchstäblich seinen Hut zu nehmen und weiter zu wandern, sobald der Boden unter ihm vollständig ausgelaugt war und zusammen fiel.
    Matt ging eilig an Jenny vorbei. Er sah besorgt aus. »Was ist passiert?«, fragte er, während er sich hin hockte und Aruulas Wange streichelte – zärtlich und aufmunternd. Es war ein Moment der Vertrautheit, und er gehörte nur den beiden. Jenny wandte sich ab.
    »Vielleicht können wir dann weiter gehen?«, fragte sie spitz.
    Aruula antwortete etwas in der Sprache der Wandernden Völker, die nur Maddrax verstand. Er ließ es unübersetzt und half der Barbarin auf die Beine.
    ***
    Der Spikkar war kurzfristig verstummt, als die Zweibeiner zum Anspringen nahe an ihm vorbei gingen. Er war auf ein Schneckennest gestoßen, das er auszuräumen gedachte, und wollte diese sichere Beute nicht gefährden – zumal seine nächtliche Jagd erfolglos geblieben war. Der dachsgroße Einzelgänger hatte nur in gieriger Vorfreude geknurrt, nicht aus Angriffslust. Als sich die Schritte entfernten, nahm er seine Arbeit wieder auf. Mit flinken Pfoten scharrte er rote Kugelschnecken aus dem Boden. Speichelfäden hingen von seinen Lefzen, und er knurrte vergnügt vor sich hin.
    Plötzlich ruckte sein Kopf hoch. Was war das? Einen Steinwurf entfernt, hinter einem Wall aus umgestürzten Bäumen, knurrte ein Konkurrent! Der Spikkar setzte sich sofort in Bewegung.

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