1363 - Hexen, Witwen und Assunga
her. Ob ihre Tritte mich trafen, wusste ich nicht. Ich stand zu sehr unter Stress, um das zu spüren.
Mit Margret Stone im Griff drehte ich mich um. Erst jetzt, in der Bewegung, merkte sie, was mit ihr geschah. Sie versuchte sich zu wehren, was ihr aber nicht gelang, denn ich war schneller.
Wie einen alten Lumpen schleuderte ich sie zur Seite. Wohin sie flog und letztendlich auch landete, darum kümmerte ich mich nicht.
Ich hörte es nur Krachen und Scheppern, denn sie war gegen ein Sideboard geprallt, auf dem einige Schalen gestanden hatten. Jetzt nicht mehr. Die meisten lagen am Boden und waren zerbrochen.
Auch die Stone rutschte nach unten. Ihr Jammerlaut zeigte mir an, dass es ihr nicht gut ging.
Das war mir in diesem Moment egal. Ich interessierte mich sowieso nur für eine andere Person, die ebenfalls jammerte, weil sie ihre Schmerzen nicht mehr unterdrücken konnte.
Sie hatte sich nicht vom Fleck bewegt. Im Nu nahm ich das Bild in mir auf.
Die dunkelblonde Person war mit einem grauen Kostüm bekleidet, dessen oberen Knöpfe abgerissen waren. Ihr Gesicht war nass von Tränen, und trotz der schlechten Beleuchtung sah ich die Rötung auf beiden Wangen. Es deutete darauf hin, dass man die Person geschlagen hatte.
Sie schnappte nach Luft und jammerte dabei zum Steinerweichen.
Als ich sie anfasste, schrie sie leise auf, weil sie zunächst nicht raffte, dass ich jemand war, der ihr helfen wollte.
»Kommen Sie, Madam, es ist vorbei. Niemand wird Ihnen mehr etwas tun.« Ob sie mich verstanden hatte, wusste ich nicht. Ich wollte auch nicht mehr fragen, fasste sie unter und hob sie an. Ein Sessel stand in der Nähe. Er war für mich der beste Platz.
Ich drückte die Frau gegen die Sitzfläche und wollte mich der Stone zuwenden, als mich zwei Hände an den Gelenken festhielten.
»Nein, nein, bleiben Sie bei mir. Man will mich… ich … soll … zu einer Hexe.«
»Keine Sorge, das wird nicht passieren.«
»Ich bin Lilian Wayne. Ich soll der Ersatz für meine Schwiegermutter sein.«
Mit einer derartigen Erklärung hatte ich nicht gerechnet und fragte mich sofort, was sie zu bedeuten hatte. Nur war es jetzt nicht an der Zeit, die entsprechenden Antworten zu geben, das würde ich mir alles für später aufheben.
»Gleich, Lilian, gleich. Zuerst muss ich mich um jemand anderen kümmern.«
Sie hatte verstanden und ließ mich los.
Ich richtete mich wieder auf und drehte mich zu dem Sideboard hin, wo die Grauhaarige liegen musste.
Wie schon erwähnt, das Licht war nicht besonders, es brannte nur eine Lampe, aber sie gab trotzdem eine Helligkeit ab, in der ich mich orientieren konnte.
Über die Lehne des Sessels hinweg schaute ich zur Vorderseite des Sideboards hin.
Die Scherben der heruntergefallenen Schalen lagen auf dem Boden. Nicht aber die Besitzerin des Geschäfts.
Sie war verschwunden!
***
Das wollte ich zunächst nicht glauben. Aber der zweite Blick überzeugte mich davon, dass ich mich nicht getäuscht hatte. Es gab die Grauhaarige nicht mehr an diesem Platz. Sie hatte die Gunst des Augenblicks ausgenützt und war geflohen.
Zunächst stand ich da wie jemand, der nicht weiß, was er unternehmen soll. Ich machte mir keine Vorwürfe. Ich hatte damit gerechnet, dass die Stone erst mal genug hatte und ausgeschaltet worden war. Dass sie so viel einstecken konnte, hatte ich nicht erwartet, doch in ihr steckte sicherlich ein Urtrieb, den ich leider unterschätzt hatte.
Ich drehte den Kopf nach links.
Die blonde Frau saß im Sessel. Sie strich über ihr Gesicht und stöhnte leise. Um sie musste ich mich nicht kümmern. Wichtiger war Margret Stone. Aber wo steckte sie?
Im Zimmer entdeckte ich sie nicht. Zumindest nicht nach einem schnellen Blick. Dafür aber blieb mein Blick an einer Wand hängen, die frei von Bildern war, aber trotzdem ein Bildnis zeigte. Sie lag teilweise im Licht, sodass ich das Motiv recht gut erkannte.
Es zeigte einen dunklen Hintergrund, der sich aus Schatten aufbaute, in denen sich allerdings Körper abzeichneten.
Und ich sah noch mehr.
Eine Frau im Mittelpunkt. Eine, die wie eine Königin wirkte und alles beherrschte.
Und genau das war Assunga!
***
Die Überraschung hielt sich bei mir in Grenzen, denn mir fiel das Telefonat mit Suko wieder ein, der bereits Spuren gefunden hatte, die auf Assunga hinwiesen.
Hier sah ich sie selbst!
Natürlich nicht so klar, als würde sie als lebendige Person vor mir stehen, aber sie war vorhanden, und sie sah so aus wie ich sie kannte.
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