1363 - Hexen, Witwen und Assunga
Schattenhexe!
***
Diese Pause zwischen uns dauerte nur wenige Sekunden. Beide schauten wir in die gleiche Richtung, und als Erstes gab Mrs. Stone einen Laut von sich. Er war nichts anderes als einen enttäuschtes Aufheulen. Danach schüttelte sie den Kopf und kümmerte sich anschließend um ihre Wunde, die meine Silberkugel hinterlassen hatte.
Es war Glück im Unglück gewesen, dass das Geschoss sie nicht richtig getroffen, sondern nur am Oberarm gestreift hatte. Trotzdem hatte es eine Wunde hinterlassen, die brannte, und Margret Stone presste ihre Hand darauf.
Der Dolch blieb auch weiterhin in der Wand stecken. Wobei ich mich fragte, ob es tatsächlich die Wand war oder schon der Körper der Hexe. Bei Assunga war einfach alles möglich, aber sie war im Moment nicht so wichtig.
Margret Stone saß noch immer auf der Kante des Tisches. Die Hand hielt sie weiterhin gegen die Streifschusswunde gedrückt. Sie atmete schwer und tat auch nichts, als ich zu ihr ging.
»Lassen Sie mal sehen.«
»Nein!«, schrie sie mich an. »Das ist allein meine Sache. Hau ab, mach, dass du wegkommst, sonst bist du tot.«
»Oh. Seit wann sind Sie so besorgt um mich?«
»Du weißt nicht, was hier gespielt wird. Ein edler Retter zählt nicht mehr, verdammt!«
»Bist du dir sicher, dass ich nur rein zufällig bei dir erschienen bin?« Ich ging jetzt auf den vertrauten Tonfall über. Zum ersten Mal bemerkte ich bei ihr eine überraschte Reaktion.
Ich wiederholte meine Frage zum Teil. »Bist du dir sicher?«
»Was soll das?«
»Es kann ja sein, dass ich nicht ganz zufällig hier erschienen bin.«
Der letzte Satz hatte sie nachdenklich werden lassen. Bisher hatte sie mich nicht angeschaut und den Kopf gesenkt gehalten. Nun hob sie ihn an und schaute zuerst zu der starren Person im Sessel.
»Gehörst du zu Lilian Wayne?«
»Nein.«
»Wer bist du dann?«
Ich wartete mit der Antwort, bis sie mich angeschaut hatte.
Meinen Namen gab ich nicht preis und sagte mit lauter Stimme: »Ich bin nur ein einfacher Polizist, dessen Aufgabe es ist, einen Mordfall aufzuklären. Und daran beiße ich mich fest.«
Die Grauhaarige wollte es nicht glauben. »Und dann kommst du zu mir? Wieso?«
»Es ist eine Spur gewesen.« Wieder verriet ich nicht zu viel.
»Wieso gerade ich?«, flüsterte sie.
Die Erklärung gab eine andere Person. Lilian Waynes Stimme überschlug sich dabei. Es war nicht leicht, ihre Worte überhaupt zu verstehen, aber in ihnen steckte eine Brisanz.
»Ja, ja, ja! Sie ist es! Sie ist am Grab gewesen. Sie hat meinen Mann getötet, weil sie mich wollte. Ich soll an Stelle meiner Schwiegermutter zu dieser verdammten Schattenhexe gehen, die Witwen sammelt, denn sie sind unabhängig. So sieht es aus, und wenn sie etwas anderes behauptet, dann lügt sie…« Lilian konnte nicht mehr. Ihre Stimme brach mit einem schrillen Klang zusammen, und sie senkte jetzt ihren Kopf.
»So hört sich also die Wahrheit an«, sagte ich.
»Na und?«, höhnte die Grauhaarige und schaute mich kalt an.
»Das musste so sein.«
»Sie geben den Mord also zu!« Ich war wieder in einen förmlichen Tonfall übergegangen.
»Es musste so sein. Ich habe mich Assunga verschrieben. Meine Freundin Cordula starb, da konnte auch die Schattenhexe nicht helfen. So musste ich für Ersatz sorgen.«
Ich nickte. »Gut, Mrs. Stone. Dann werde ich Sie Kraft meines Amtes verhaften.«
Es gibt nicht viele Menschen, die nach derartigen Sätzen laut lachen. Genau das tat Margret Stone. Sie konnte einfach nicht an sich halten. Es brach aus ihr hervor, und das Gelächter war nicht einmal gekünstelt. Es klang verdammt echt.
Dann brauchte sie eine Weile, um sich davon zu erholen. »Glaube nur nicht, dass es so einfach für dich sein wird, Bulle! Assunga ist nicht nur eine einfache Hexe. Assunga hat Macht. Große Macht sogar. Mehr Macht als die Menschen. Sie wird es nicht zulassen, dass ich ihr entrissen werden soll. Sie wird alles daransetzen, dass ich in ihrer Nähe bleiben kann, und sie wird dafür sorgen, dass du die nächste Nacht nicht mehr erlebst.«
»Große Worte. So etwas hat man mir schon öfter angedroht, und ich lebe noch immer.«
»Nicht gegen Assunga.«
»O ja, auch gegen sie. Ob du es glaubst oder nicht, die Schattenhexe ist eine alte Bekannte von mir.«
An dieser Antwort hatte sie zu knacken. Sie blickte mich scharf an und versuchte, aus meinem Gesicht oder aus dem Blick zu lesen. Ob ich sie angelogen hatte oder nicht. Dass jetzt Blut aus ihrer Wunde
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