1363 - Hexen, Witwen und Assunga
Das wilde Haar, sogar leicht rötlich schimmernd, das immer leicht blasse Gesicht, das allerdings durch die kräftigen Farben mehr in den Hintergrund trat, und natürlich sah ich ihren Mantel, den sie nicht geöffnet hatte. Dicht unter dem Hals wurden die beiden Hälften von einer Brosche gehalten. Der Mantel reichte bis zum Boden, sein Stoff war ebenfalls dunkel, doch innen gab es ein besonderes Futter.
Es bestand aus der dünnen Haut, die einem Schamanen vom Körper gezogen worden war. Hergestellt worden war er von der Dämonin Lilith, die sich fast so stark fühlte wie Luzifer persönlich.
Ich kannte den Mantel. Ich wusste, dass er Assunga und auch Menschen transportieren und sie in andere Reiche und Dimensionen hineinbringen konnte. Der Zaubermantel machte Assunga zu einer Gegnerin, die ich noch nicht hatte besiegen können.
Im Moment stand sie auf der Seite des Dracula II. Ihre Hexen und die Vampire wollten eine Gemeinschaft bilden, um gegen den Schwarzen Tod anzugehen, denn dann würde es ihnen auch gelingen, sich die Vampirwelt wieder zurückzuholen.
Ich rechnete mit allem, auch mit einem lebenden Bild. Das musste ich genau wissen, und dazu benötigte ich besseres Licht. Deshalb holte ich meine Leuchte hervor und bewegte die rechte Hand im Kreis. Der kleine Lichtkegel machte die Bewegung mit, und so erhellte sich das Bild an verschiedenen Stellen.
Der Hintergrund war unwichtig. Für mich zählte nur Assunga. Ich wollte wissen, warum ich sie hier auf die Wand gemalt sah und ob es überhaupt ein normales Gemälde war oder etwas anderes.
Der Lichtkegel traf das Gesicht. Er blieb auch darauf konzentriert.
Die Fläche war nicht ganz glatt, und so wirkte die Haut der Assunga leicht porös.
Der Schein störte das Gemälde nicht. Ich blieb weiterhin so stehen und konzentrierte mich auf die Augen. Sie würden mir als Erste bekannt geben, ob in diesem Abbild Leben steckte oder nicht.
Kalte Augen. Ein ebenso kalter Blick. Kein Zwinkern und auch kein Zucken der Haut. Die Figur blieb starr, und trotzdem traute ich dem Frieden nicht.
Ich hatte mit Bildern gewisse Erfahrungen sammeln können und dachte daran, dass so manches reine Täuschung gewesen war. Tatsächlich hatte mehr dahinter gesteckt, denn einige Bilder hatten nicht nur gelebt, sie waren auch Tore in eine andere Welt gewesen.
Auch wenn sie rahmenlos waren wie dieses. Und so ging ich davon aus, dass auch diesem Gemälde eine besondere Bedeutung beikam.
Bisher hatte ich es mir nur aus einer gewissen Distanz angeschaut, doch jetzt ging ich langsam auf das Bild zu und konzentrierte mich ganz darauf.
Ich wollte herausfinden, ob es Strömungen gab, die ich spürte.
Aber nicht nur ich allein, sondern auch der Gegenstand, der sich in meinem Besitz befand.
Es war das Kreuz, der Talisman, der mich zum Sohn des Lichts machte, wie man sagte.
Es hing wie so oft vor meiner Brust. Und wie so oft schob ich die Kette über meinen Kopf hinweg und ließ das Kreuz auf meiner Handfläche liegen.
Keine Wärme.
Kein Funkeln des Silbers.
Bisher musste ich also davon ausgehen, dass die Malerei auf der Wand völlig normal war, nur eben dieses Motiv zeigte, das mich misstrauisch machte.
Es war wirklich der Ausdruck der Augen. Da ich näher an Assunga herangekommen war, empfand ich ihn auch als intensiver.
Sie hatten keine direkte Farbe, die auffiel. Grün und Gelb mischten sich darin, und den Blick empfand ich als kalt.
Ich schaute sie an. Sie mich aber auch, und das sehr direkt und intensiv. War es möglich, dass sich der Blick verändert hatte, weil die Entfernung verkürzt worden war?
Rechnen musste ich mit allem, denn die andere Seite hielt stets böse Überraschungen für mich parat.
Assunga und ich!
Wie oft hatten wir uns gegenübergestanden, trotz der relativ langen Zeit, in der ich nichts von ihr gehört hatte. Doch einiges wies darauf hin, dass sich dies ändern würde.
Wenn diese Gestalt schon hier auf die Wand gemalt worden war, dann sicherlich nicht ohne Grund. Es gab eine Beziehung zwischen Margret Stone und dieser weiblichen Unperson. Ich wollte herausfinden, um welche es sich handelte.
Der Schrei riss mich aus meinen Gedanken!
Zugleich vernahm ich die hastigen Schritte, wirbelte herum und schaute auf Margret Stone.
Sie rannte auf mich zu und war bereits verdammt nahe herangekommen.
Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, hätte sie nicht den Dolch mit der dunklen Klinge in der Hand gehalten, den sie in meinen Hals rammen wollte…
***
Ich sah
Weitere Kostenlose Bücher