1363 - Hexen, Witwen und Assunga
John!«
»Nein.«
»Du weißt doch, dass ich die Stärkere von uns beiden bin. Und denk daran, dass ich dich auch manchmal vor Schaden bewahrt habe. Ich brauche die Frauen, ich brauche die Witwen, denn sie sind unabhängig, und ich werde sie mir holen.«
Was sollte ich tun?
Sie angreifen? Es noch mal mit dem Kreuz versuchen? Mich gegen die Wand werfen und darauf hoffen, dass sie ein transzendentales Tor war, das mich an Assunga heranbrachte?
Nein, so weit wollte ich nicht gehen, noch nicht. Es musste noch eine andere Möglichkeit geben.
Assunga bewegte sich wieder und beendete dadurch mein Nachdenken. Ich sah es zum ersten Mal, und dabei fiel mir etwas auf.
Nein, das war keine Täuschung, auch wenn es im ersten Moment den Anschein hatte. In der Wand schienen sich plötzlich zwei Gestalten zu befinden, aber nicht neben- sondern übereinander. Es war nur ein kurzes Zittern, mehr nicht, und auch der gesamte Vorgang wäre mir nicht so bewusst geworden, hätte ich mich nicht konzentriert.
Was hatte das zu bedeuten?
Ich wollte es wissen. Es war mir egal, ob Assunga den Dolch besaß, ich musste näher an dieses Tor heran, und dabei schoss mir dieser Vorgang durch den Kopf.
Wo lag die Erklärung?
Nach dem dritten Schritt glaubte ich, Bescheid zu wissen. Es gab Assunga als Gemälde in dieser Dimension, und es gab sie zugleich als echte Schattenhexe in der anderen. Die echte hatte die Gelegenheit genutzt und sich über das Gemälde geschoben.
Anders gesagt: Ich hatte es ab jetzt mit der echten Assunga zu tun und stellte mich darauf ein.
Nur ließ sie das nicht zu. Es passierte mit einer Schnelligkeit, die mich nicht zu einer Reaktion kommen ließ.
Obwohl sie den Dolch noch in der Hand hielt, hob sie beide Arme an. Die Finger näherten sich der Schnalle unter dem Hals. Eine kurze Bewegung nur reichte aus, und der Mantel klaffte auseinander.
Ich sah noch das gelbe Schimmern des aus Haut bestehenden Innenfutters, weil Assunga die beiden Hälften ausgebreitet hatte und sie dann blitzschnell wieder zusammenklappte.
Ich kam einen halben Schritt zu spät, denn noch in der gleichen Sekunde war sie verschwunden…
***
Düpiert blieb ich vor der Wand stehen. Assunga hatte mal wieder ihre Macht ausgespielt und mir gezeigt, wer hier die besseren Karten in den Händen hielt. Mir hatte das Phänomen des Mantels schon einige Male geholfen, das gab ich gern zu, hier aber fühlte ich mich zunächst abgewiesen.
Auch Margret Stone gefiel der Fortgang nicht. Sie war so enttäuscht, dass sie aufschrie. Dabei bewegte sie sich hektisch, ohne auf die Armwunde zu achten.
Mir war sie im Moment gleichgültig. Mir war auch Assunga egal.
Gewisse Dinge würden zurückkehren, davon ging ich aus. Aber es kam jetzt darauf an, Lilian Wayne in Sicherheit zu bringen. Sie musste der Schattenhexe entrissen werden.
Als ich zu ihr ging, protestierte die Stone. »Was willst du von ihr, verdammt? Lass sie in Ruhe!«
Ich schaute sie nur an. Eine Antwort verkniff ich mir. Dafür streckte ich Lilian meine Hände entgegen. »Fühlen Sie sich stark genug, das Zimmer zu verlassen?«
»Ja.«
»Wunderbar. Dann kommen Sie bitte.«
Sie war sich noch nicht ganz sicher. Mit sehr langsamen Bewegungen stand sie auf, hielt sich dabei bei mir an einer Hand fest und ließ sich so in die Höhe ziehen.
Ich dachte nicht daran, hier abzutauchen. Ich wollte zunächst nur Lilian Wayne aus der Gefahrenzone bringen. Das Assunga sich nur kurzzeitig zurückgezogen hatte, stand für mich sowieso fest. So einfach gab sie nicht auf, denn es konnte ihr nicht passen, dass ich ihr in die Quere gekommen war.
Auch weiterhin hielt sich Lilian an meiner Hand fest. Sie wusste nicht, wohin sie blicken sollte. Manchmal schaute sie auf Margret Stone, die an ihrer eigenen Wut fast erstickte, dann wieder auf das Bild an der Wand.
Für mich war es müßig, darüber nachzudenken, ob ich nun die echte Assunga sah oder nur das Gemälde. Für mich war Assunga eine zweifache Einheit, die zudem noch den Dolch besaß, das vergaß ich auch nicht. Ich fragte mich, ob sie tatsächlich so einfach aufgab.
Bis zur Tür kam ich. Da spürte ich den Gegendruck, weil Lilian nicht mehr weiter wollte.
»Wohin soll ich denn gehen?«, fragte sie leise.
»Erst mal bringe ich Sie von hier weg.«
»In Sicherheit?«
Zweifel und zugleich Hoffnung hatten in ihrer Stimme mitgeschwungen. Wenn ich ehrlich gegen mich selbst war, fiel mir eine Antwort nicht leicht. Sicherheit war relativ. Besonders dann, wenn
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