1363 - Krieg der Städte
leisten konnte. Er fühlte, wie seine Kräfte sich in der sinnlosen Abwehr verzehrten, und er suchte eine letzte Zuflucht bei den Gedanken, die ihn in den ganzen Tagen seines Aufenthalts auf dieser Welt beschäftigt hatten. War dies die Prüfung, die das Hexameron ihm auferlegt hatte? War dies die letzte Chance für ihn, oder war er gerade dabei, sie zu verspielen? „Ich will nicht!" Er schrie es. Seine Gedanken trugen es hinaus in die Welt, wurden eingefangen von der riesigen Schar um sie herum. Sie wurden reflektiert, und er litt Todesqualen unter der Erkenntnis, daß er den Verstand verlieren würde. Je stärker die Geister drängten, je mehr er sich sperrte, desto zerbrechlicher wurde das Gefäß, das er darstellte. Und mit dieser Gefahr wuchs auch die Rücksichtslosigkeit, mit der die Bewußtseine der Toten gegen ihn vorgingen.
Rhodan begann unter hypnotischen Zwängen zu leiden. Er begann sich einzureden, daß es sein mußte, daß für ihn eine Existenz unter einem anderen Stern bevorstand. Sein Körper spielte keine Rolle mehr für ihn, denn sein Bewußtsein war ein Gefäß, und ein Gefäß benötigte kein eigenes Bewußtsein. Folglich mußte sein Bewußtsein erlöschen, um den anderen Platz zu machen.
Perry Rhodan wehrte sich nicht mehr. Er erduldete das Rütteln und Schubsen, das er zu erkennen glaubte. Er öffnete seinen Geist, machte das Seelengefäß weit auf und wollte die Bewußtseine der Toten einlassen.
Und wurde wachgerüttelt. Jemand schüttelte ihn, und er schrak empor und riß die Augen auf. Gegen das matte Sternenlicht der Nacht erkannte er eine vage Gestalt. Es war Bastuk. Der Vunorer schüttelte ihn noch immer. „Was ist los mit dir? Du schreist und stöhnst?" fragte er.
Rhodan streifte seinen Arm ab. „Es sind die Stimmen der Toten. Ich bin das Seelengefäß, und sie begehren Einlaß. Oh, hilf mir doch!
Beende die Qual in mir!"
Er zwängte sich aus dem Teppich und sprang auf. Sein Gleichgewicht geriet durcheinander, und er stürzte wieder zu Boden. Er spürte noch immer den hypnotischen Zwang der Bewußtseine. Sie waren da, sie zogen sich nicht zurück. Sie machten nicht nur seinen Schlaf zur Hölle, sondern auch sein Wachen.
Die Ordonnanz war ratlos. Bastuk setzte sich neben Rhodan zu Boden und hielt seine Hände fest. „Du zitterst stark", sagte er. „Benötigst du einen Arzt? Dann müssen wir einen der Oberbrüder rufen."
Rhodan nickte, dann schüttelte er den Kopf. „Ich muß in die Stadt zurück", hauchte er. „Bringt mich nach Vunor!"
„Das geht nicht. Mein Platz ist in der Schlacht. Mein Platz ist bei dir. Ich habe den Auftrag, dich zu beschützen!"
„Ich entbinde dich davon. Laß mich gehen!"
Rhodan spürte die Unentschlossenheit des Vunorers. Er versuchte, dessen Gesicht zu erkennen. Die Dunkelheit ließ es nicht zu. Dafür sah er den Schimmer des weißen Matiks ganz in seiner Nähe. „Leb wohl!" krächzte Perry. Er richtete sich langsam auf und kämpfte gegen den Schwindel an. Schritt für Schritt bewegte er sich vorwärts, und die Bewußtseine der Toten schienen in diesen Augenblicken mit ihrem Drängen nachgelassen zu haben. Er erreichte das Kunstwesen und bestieg es. „Es gilt noch immer die erste Präferenz", flüsterte er. „Ich bin das Seelengefäß. Bringe mich zurück zur Stadt!"
Er winkte fahrig zu Bastuk hinüber. Einige seiner Soldaten hatten sich um ihn geschart und redeten auf ihn ein. Rhodan verstand nicht, was sie sagten. Der Matik trug ihn hinweg in die Nacht, und da kehrte auch der hypnotische Zwang in ihn zurück. Er war so stark, daß Rhodan sich zu winden begann. Hätte er sich nicht festgeschnallt und die Hände um die Steuerringe verkrampft, wäre er in die Tiefe gestürzt. „Ich will nicht", preßte er zwischen den Lippen hervor. „Laßt mich in Ruhe!"
Die Geister der Verstorbenen hatten kein Erbarmen mit ihm. Sie quälten ihn, und er verlor immer mehr den Bezug zur Realität. Er achtete nicht auf das häßliche Jucken an seinen Hand und Fußgelenken und an der Stirn. Er kam sich vor, als liege um seinen Kopf eine eiserne Klammer, die sich immer mehr zuzog.
Ein Gefühl machte sich in ihm breit, als müsse ihm der Schädel platzen. Er stöhnte nur noch, und der Matik schwieg. Selbst wenn er etwas gesagt hätte, Rhodan hätte ihn vermutlich nicht gehört. Seine Ohren waren taub, seine Augen blind. Er hörte sein eigenes Schreien nicht mehr und wußte, daß sich die Grenze unmittelbar vor ihm befand, hinter der es ihn nicht mehr geben
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