1363 - Krieg der Städte
den Boden. Seine Sinne drohten ihm zu schwinden. Der Segler gewann an Höhe und riß ihn vom Boden weg, und gleichzeitig holten die Kauraner oben das Seil mit seiner Last ein.
Rhodan klammerte sich an seiner Waffe fest. Alles war viel zu schnell gegangen. Es war ihm nicht gelungen, die Waffe so zu drehen, daß er sie umschalten und das Seil durchschießen konnte, solange er sich am Boden befand. Er bekam Atemnot, weil der Segler zu schnell in den Himmel hinaufraste. Im Vertrauen auf die empfindlichen Sinne der Insektoiden stieß er einen lang anhaltenden Hilfeschrei aus.
Kurze Zeit später entdeckte er sie. Sie stürzten sich von oben auf den Segler und schossen ihn ab.
Gleichzeitig jagten mehrere Matiks von unten herbei und kappten das Seil. Wieder wurde Rhodan mitgerissen und langsam auf eines der Kunstwesen gezogen.
Er fand sich plötzlich an Bastuks Seite, aber das Tier sank rasch abwärts. Es war nicht für die doppelte Last gebaut. „Wir haben das weiße Tier bereits in unsere Gewalt gebracht", empfing die Ordonnanz den Gefesselten.
Ganz in ihrer Nähe rauschte es, stürzte der Segler dem Boden entgegen. „Wir werden dich ab sofort ein wenig beschützen, denn von dir hängt die Zukunft unseres Volkes ab!"
„Warum?" krächzte Rhodan. Sein Hals war wie ausgedörrt, seine Nasenflügel klebten aneinander. „Keine Ahnung", sagte der Vunorer. „Wenn du es nicht weißt, wer dann?"
„Ich bin müde", sagte Rhodan. „Bringt mich an einen sicheren Ort, wo ich schlafen kann. Und ich habe großen Durst!"
Sie brachten ihn zu einem Gebüsch weit hinter dem Schlachtfeld, wo die Auseinandersetzungen neu entbrannten. Sie brachten ihm zu trinken, und er trank den ganzen Krug fast in einem Zug leer. Bastuk breitete einen Teppich auf dem Boden aus, und Rhodan hüllte sich in ihn. „Wir werden in deiner Nähe bleiben und dich beobachten", verkündete die Ordonnanz. „Sobald Gefahr naht, werden wir dich wecken!"
5.
Rhodan schlief fest, aber sein Geist kam nicht zur Ruhe. Immer wieder wurde er halb wach und wälzte sich in dem Teppich herum. Er spürte, daß sich jemand in seiner Nähe befand. Wieder schlief er ein und träumte. Jemand schwebte über ihm, einer Lichtgestalt ähnlich. Die Gestalt löste sich auf, verwandelte sich in bizarre Nebelschwaden und bedrängte ihn. „Ich bin da", vernahm er die weiche Stimme. „Öffne mir!"
Rhodan wußte nicht, was gemeint war. Er wischte den störenden Eindruck weg und drehte sich im Schlaf auf die andere Seite. Aber auch dort näherte sich ein Bittsteller und bat um Einlaß. „Was wollt ihr nur?" träumte Rhodan. „Geht weg. Laßt mich in Ruhe. Ich will schlafen!"
Sie ließen ihn nicht in Ruhe. Im Gegenteil, es wurden immer mehr, und endlich öffnete der Träumende seine Augen und musterte die Störenfriede. Es waren Gestalten von Vunorern und Kauranern, die sich versammelt hatten. Sie trugen die Wunden des Kampfes an sich, und der Schlafende spürte instinktiv, daß es die Toten waren, die sich vor ihm aufgebaut hatten. Und ständig kamen weitere dazu, wuchs die Schar ins Unüberschaubare. Rhodan wurde erst warm, dann heiß, und er versuchte, die Wesen abzuwehren. „Nimm uns auf", verlangten sie. „Wehre dich nicht. Tu du deine Pflicht, wie wir die unsere getan haben!" Übergangslos erfüllten ihre Gedanken sein Bewußtsein. Er erfuhr alle ihre Ängste und ihre Pein. Er spürte die Qualen, die sie beim Tod erduldet hatten. Und er verstand ihre Zuneigung zu Vu, ihrer Königin, und zu Dra, ihrer Königin. Jetzt, im Tod, spielte der Unterschied zwischen Vunorern und Kauranern keine Rolle mehr. Sie versammelten sich um die eine Person, die bereits den Lebenden das Wichtigste an der ganzen Schlacht war.
Sie bedrängten ihn und ließen nicht von ihm ab, und seine Angst und seine Schmerzen, die sein Bewußtsein erdulden mußte, konzentrierten sich in dem lautlosen Hilfeschrei, den weder Bastuk noch ein anderer vernahm. „Warum muß ich euch aufnehmen?"
„Du bist das Seelengefäß", erhielt er zur Antwort. „Vu hat dich dazu gemacht. Erfülle den alten Ritus.
Nimm die Geister der Verstorbenen in dich auf!"
Rhodan begann innerlich zu toben. Sein Bewußtsein begriff, daß das kein Traum war, sondern die Wirklichkeit, die ihn im Traum überrascht und sich über den Traum Zugang zu ihm verschafft hatte. Er suchte nach einem Ausweg, aber es blieb ihm keiner. Die Armee der Toten war zu groß, ihr Drängen so gewaltig, daß er ihr nicht mehr lange Widerstand
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