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137 - Der trojanische Barbar

137 - Der trojanische Barbar

Titel: 137 - Der trojanische Barbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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in Euch ein gut behütetes Korn zu entdecken gilt, das behutsam gewässert werden muss, um es zu voller Blüte gedeihen zu lassen? Dass die Muusen Melpomeena, Polyhymen, Kalloppe und Thaalia sich meiner als Gefäß bedienen und sich Euer annehmen, um neue Seiten in Euch hervorzubringen?«
    (Vier der neun Musen: Melpomene (Tragödie in Lyrik und Gesang), Polyhymnia (Erzählkunst und Gesang), Kalliope (heroisches Epos), Thalia (Komödie und Lustspiel)) Will Shag stand auf und warf sich in wohl berechnete Pose:
    »Macht etwas, das Ihr nie für möglich gehalten hättet! Beschreitet neue Wege, von denen Ihr nie gedacht hattet, dass es sie gibt. Und findet zu Euch selbst zurück, indem Ihr Euch dem Heil der Gruppe unterwerft!«
    Er donnerte die letzten Worte – und erzielte tatsächlich die beabsichtigte Wirkung: Rulfan zuckte zusammen, wurde scheinbar kleiner unter der Wucht seiner Worte.
    Eine Pause entstand. Niemand wagte zu reden. Die Männer rund um das Feuer blickten den Albino erwartungsvoll an, während der Mann selbst in sich versunken schien.
    Schließlich schreckte Rulfan hoch wie aus einem Traum.
    Seine Blicke trafen sich mit denen Wills. Müdigkeit war darin zu lesen – aber auch Neugierde und Interesse. »Ach, was soll’s!«, sagte der grauhaarige Mann. »Ich begleite euch für eine Weile. Als Narr unter Narren – was macht das schon aus…?«
    »So sei es!«, rief Will Shag triumphierend unter dem Jubel seiner Männer und spie in die Linke. »Reicht mir die Hand, Master Rulfan, auf dass wir unseren Bund besiegeln. Auf gedeihliche Zusammenarbeit!«
    Rulfan grinste schief, spuckte ebenfalls und umfasste seine Hand.
    ***
    Die Tage vergehen, und das Klima im Bunker ist nach wie vor vergiftet. Ein Konflikt zwischen Sir Leonard und »Seven«
    Duncan, der Jahrzehnte lang nur geschwelt hat, droht nun endgültig auszubrechen.
    Noch kann sich Rulfans Vater durchsetzen und kraft seiner Autorität und Willensstärke für Ruhe und Ordnung sorgen.
    Doch es wird Zeit, das Octaviat des verstorbenen Major Russ St. Neven nachzubesetzen. Die Abteilung für Leitung der Produktion und technisch-militärisches Gerät ist durchweg konservativ besetzt. Als ich mich durch die Personalakten derjenigen wühlte, die für eine Wahl in Frage kommen, stieß ich zudem auf Paranoia, Depressionen und ganze Berge unaufgearbeiteter Komplexe. Alle Kandidaten sind im Prinzip schwache, labile Charaktere, die ein Ränkespieler wie General Duncan mit Leichtigkeit um einen seiner verbliebenen Finger wickeln würde.
    Die Zeiten sind schlecht, und sie drohen noch schlechter zu werden…
    (Aus den handschriftlichen Aufzeichnungen von Eve Neuf-Deville)
     
    4. Die schönen Künste
    Rulfans Arbeit war leicht und ließ ihm ausreichend Zeit, sich mit der Schauspielkunst zu beschäftigen.
    Ab und zu musste er ein finsteres Gesicht ziehen und marodierende Barbarenhäufchen mit ungezielten Schüssen aus seiner handlichen Strahlenwaffe verscheuchen – doch dieser Teil Englands, der einmal Sussex geheißen hatte, wirkte relativ friedlich.
    Nicht zuletzt dank der Domestizierungsmaßnahmen der Communities London und Salisbury, die das Land unter südlich lebenden Stämmen und deren Grandlords aufgeteilt hatten. Fremde Eindringlinge, so genannte »Tuuwists«, wurden von ihnen erbarmungslos gejagt und vertrieben – oder fein säuberlich gerupft und gegessen, je nach Nahrungssituation.
    »Und du kommst aus… Stratfood?«, fragte er Will Shag.
    »Wie ist das Leben dort oben?«
    »Haltet das Kinn etwas tiefer, Master Rulfan!«, forderte ihn der Mann mit der hohen Stirn und dem fein gestutzten Schnurrbart auf. »Hart ist es, und es bietet einem Mann mit meinen Talenten keinerlei Möglichkeiten. Den Blick hoch! So ist es besser. Ich war bei einem grobschlächtigen Wakuda-Fleischer in der Lehre, stellt Euch das vor! Ich musste in Jugendjahren meine Limericks vor den Tieren auf der Schlachtbank deklamieren, meinen einzig willigen Zuhörern. Brr, mich schüttelt, wenn ich nur daran denke… Geradeaus gehen, Master Rulfan, immer geradeaus…«
    »Und was hat dich hierher in den Süden getrieben?«
    »Konzentriert Euch gefälligst auf die Arbeit und nicht auf unnütze Plappereien. Das Publikum muss die Würde des Herrschers spüren, den Ihr verkörpert. Ihr müsst eins sein mit der Figur. Es ist keine Rolle, die Ihr ausfüllt – ihr müsst Obron sein. Merkt Euch das!«
    Will Shag war ein strenger Mann, wenn es um das Theater ging. Er nahm die selbst erwählte

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