137 - Der trojanische Barbar
zu verfolgen.
Nachdenklich blickte Rulfan nach links. Neben Robin Goodfellow, der mit den steigenden Temperaturen des nahenden Frühlings auch mehr Lebensfreude zu gewinnen schien, saß Sartaks, die Wulfanin.
Ein himmelschreiend hässliches Wesen, dessen Gestank kaum ein Mensch über längere Zeit aushielt – und ein Sensibelchen sondergleichen. Ihr fleckiges Fell war räudig und zerrupft. Eine breite Narbe zog sich quer über Wange und Nase. Eins ihrer Beine zog sie nach und an der Rechten fehlten drei Finger.
Sartaks ließ jeglichen Kampfeswillen vermissen, den ihresgleichen normalerweise auszeichnete. Wie und warum die Frau von Virruna (Verona) hierher gelangt war, vermochte keiner zu beantworten, und die Wulfanin schwieg sich über das Thema beharrlich aus.
Auch wie es Will Shag gelungen war, Sartaks für seine Truppe zu gewinnen, blieb rätselhaft. Der Anführer der Schausteller besaß unglaubliche Überzeugungskraft, wie Rulfan zugeben musste. Er wickelte sie alle hier buchstäblich um den Finger. Brachte sie dazu, die größten Härten ihres Lebens zu ignorieren und für kaum mehr als ein Almosen mit ihm durch das südliche England zu ziehen. Zudem schaffte er es immer wieder, Rulfan und die anderen mit seinem Enthusiasmus anzustecken.
»Ein schschöner Tag!«, lispelte Sartaks mit ihrem Schlundmaul.
»Ja, ein schöner Tag«, antwortete Rulfan höflich.
Die Wulfanin tat sich beim Artikulieren menschlicher Sprache schwer und wirkte meist unbeholfen. Rulfan vermeinte jedoch zu spüren, dass sich in ihrem pelzigen Körper – Wudan mochte wissen, wie diese Rasse nach Kristofluu entstanden war – nicht zu unterschätzende Intelligenz verbarg.
Epigoon, der Guul, kroch hinter ihr aus dem Inneren des Wagens hervor. Er war über und über mit Erde aus seinem Transportsarg bedeckt. Ein Guul…
Eine weitere Ergänzung ihrer so bunt gemischten Mannschaft. Epigoon maß mehr als zwei Meter, war völlig kahl und, im Gegensatz zu den anderen seiner Art, fast dickleibig zu nennen. Er aß für sein Leben gerne und diente bereitwillig als Beseitiger aller Speisereste. Tagsüber schlief er meist, um sich in den Nächten, nach den Vorstellungen, mit kralligen Händen und Füßen in die gefrorene Erde zu wühlen.
Dort suchte er nach weiterer Nahrung.
Niemand kam ihm zu nahe, niemand mochte ihn. Zu anders war der Guul. Er sah das Leben aus einer Perspektive, die lediglich auf Graben und Essen ausgerichtet war.
Will Shag hielt ihn dennoch in seiner Truppe. Die Stücke, die er schrieb, beinhalteten immer wieder albtraumhafte Gestalten, die der Guul mit unglaublicher Leidenschaft spielte.
»Ich habe… Durst«, sagte der dritte Außenseiter der Truppe.
Abdanef, der klein gewachsene und dunkelhäutige Nosfera, den das Schicksal aus Fraace – oder Frankreich – hierher verschlagen hatte.
Rulfan ahnte, was Abdanef mit »Durst« meinte. Manches Wild oder Federvieh wurde auf den Etappen zwischen den weit auseinander liegenden Orten Opfer des anämiekranken Blutsaugers. Viele Stunden frönte er leidenschaftlich der Jagd nach Nahrung. Nicht nur aus Spaß an der Freude, sondern auch um zu überleben.
Will Shag, den jedermann sonst in dieser von Barbaren bewohnten Welt als Feigling oder Schwächling gesehen hätte, war in mancher Hinsicht ein moderner Held. Er beurteilte die Wesen, die mit ihm reisten, nicht nach ihrem Äußeren, sondern nach dem, was er in ihnen an Fähigkeiten entdeckte.
»Warum blickt Ihr so sorgenvoll, Master Rulfan?« Ritch Burbetsh näherte sich ihm, stapfte neben Rulfan durch die Furchen, die der Wagen vor ihnen zog.
»Ich dachte an die Geschehnisse außerhalb des Theaters«, antwortete der Albino wahrheitsgemäß.
»Die ganze Welt ist Theater!«, sagte der Mann und spuckte bräunlichen Kiffetten-Tabak in den Schnee. »Wo endet das Schauspiel, wo beginnt die Wirklichkeit? Was Ihr für Realität haltet, mag in Wirklichkeit nur die Facette eines großen Dramas sein, das Master Shag in seiner Genialität schreibt.«
»Ist er denn wirklich so eine Geistesgröße, euer… Anführer?«
»Würde ich denn sonst meine Zeit mit ihm verbringen?«
Theatralisch breitete Burbetsh die Arme aus. »Alles habe ich aufgegeben, Haus und Hof meines Vaters versetzt und in Bax umgemünzt, um ihn begleiten zu dürfen. Glaubt mir – das, was Ihr erlebt habt, ist nichts im Vergleich zu dem, was Master Shag hier drinnen speichert und hoffentlich einmal niederschreiben wird.« Er deutete auf seine Stirn.
»Warum siehst
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