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137 - Der trojanische Barbar

137 - Der trojanische Barbar

Titel: 137 - Der trojanische Barbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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voraus lagen mehrere dunkle Körper. Tote Wisaaun. Drei, nein, vier Stück. Gedärme hingen ihnen aus den Seiten, eingetrocknetes und fast schwarzes Blut war überall.
    »Euer Gegner hat sich nicht übel gewehrt, nicht wahr?«, flüsterte er. »Und weil ihr im Grunde genommen feige seid, habt ihr lieber eure verletzten Artgenossen zu Tode gebissen und ihnen die Innereien aus dem Leib geräumt. Ja, das war wahrscheinlich der einfachste und unkomplizierteste Weg zum Überleben…«
    Seltsam. Warum musste er gerade an sein eigenes Schicksal denken?
    Da war das Jaulen wieder. Ganz nah tönte es, von einer Stelle vielleicht ein Dutzend Schritte hinter den getöteten Wisaaun.
    »Bin schon da, mein Bester«, sagte Rulfan, die Pistole noch immer in der Hand. Er tastete über den Leib einer Wisaau. Er war noch warm.
    Vorsichtig ging er weiter, folgte dem Geräusch eines kurzen, flachen Hechelns. Hier kämpfte jemand um jeden einzelnen Atemzug, um jede Sekunde seines Lebens.
    »Hallo, alter Freund!« Rulfan machte sich klein, als er die dunklen, müden Augen und die schwach klappernden Gebissreihen sah.
    Ein Lupa. Wie erwartet. Tödlich verwundet, aber noch immer ein gefährlicher Gegner.
    Rulfan griff sich an den Hals, holte das Band mit Wulfs Haarbüschel unter der Jacke hervor und legte es ab. Mit langsamen Bewegungen strich er sich mit den Haaren über Hände, Gesicht und Hosenbeine.
    »Ist es das vielleicht, was du gerochen hast? Einen Hauch, eine Ahnung von einem Artgenossen?«
    Der Albino setzte sich auf einen flachen Stein ganz in der Nähe. Die Flanke des schwer verletzten Raubtieres hob und senkte sich zitternd und rasend schnell.
    Beruhigend redete er auf das Tier ein. »Ich würde dir gerne etwas über Wulf erzählen. Was für ein Prachtkerl er war, mit herrlich weißem Fell und unbezähmbarem Willen. Er war der beste Freund, den man sich nur wünschen konnte. Ich denke, dass du vom selben Schlag bist.« Vorsichtig griff Rulfan über die Seite des Lupas, ignorierte das Verhärten der Muskeln unter dem dicken Winterpelz.
    Da war nichts mehr zu machen.
    »Du hast mich gerufen, damit ich dir helfe, nicht wahr? Damit ich dir dein Schicksal ein wenig erleichtere.« Seufzend erhob sich Rulfan. »Ich kann mir gut vorstellen, dass es irgendwo ein Paradies für Lupas gibt, in dem ihr durch endlose Savannen und Wälder streunt, frei wie der Wind. Es herrscht immer Frühling und das Leben ist einfach wunderbar.«
    Er entsicherte die Waffe, richtete sie auf den Schädel, auf eine Stelle knapp unterhalb des Ohrs. »Solltest du Wulf dort treffen, dann bestell ihm schöne Grüße von einem… Freund.«
    Ein Sirren. Ein letztes, erleichtertes Aufseufzen. Der Geruch nach verbranntem Pelz, der augenblicklich von einer sanften Windbö verweht wurde.
    Der Körper, nahezu zwei Meter lang, lag still.
    Rulfan sah sich um, wischte sich eine kleine Träne aus den Augenwinkeln. Er würde die Überreste unter einer Steinpyramide begraben müssen…
    Ein verzweifeltes Quietschen.
    Rulfan schreckte zurück. Das war unmöglich! Er hatte doch präzise gezielt und auch getroffen…
    Erneut hörte er das schwache Quieken. Woher kam es?
    Drang es etwa unter dem Leib des toten Lupa hervor?
    Vorsichtig näherte er sich, hob das erschlaffte Bauchfleisch des Tieres langsam an.
    Und sah, dass er sich geirrt hatte.
    Dies war kein Lupa-Rüde. Sondern eine Mutter, die ihre Brut bis zum letzten Atemzug gegen eine Übermacht an Feinden verteidigt hatte. Zwischen drei töten We’pen (neu-barbarisch für: Welpen) wälzte sich ein kleines, schwarzblaues Etwas hervor und jammerte herzzerreißend.
    ***
    Nun musste es schnell gehen. Rulfan zog seine Jacke aus und wickelte das kleine Wesen behutsam darin ein. Wärme und Nahrung – das war es, was der We’pe jetzt benötigte.
    Er überlegte kurz, griff in eine Hosentasche und räumte hastig das Glimmzeug aus dem Plastikbeutel. Dann begann der Albino eine Zitze des Muttertiers zu melken. Wenige dünne Spritzer schossen in das durchsichtige Tütchen.
    Nacheinander bearbeitete Rulfan die sechs Milchdrüsen, holte alles aus ihnen heraus, was noch vorhanden war. Jetzt ging es nicht mehr um die Würde eines toten Lupas, sondern um das Schicksal eines lebenden.
    Noch lebenden.
    »Gut, kleiner Freund«, sagte er schließlich. »Sieht so aus, als hätte ich unvermutet die Patenschaft für dich übernommen.« Er griff in die Jacke, streichelte sanft über das winzige struppige Knäuel. »Wir werden es uns also vorerst hier

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