1373 - Die vergessene Sage
sollte.
Mehr sah ich nicht. Der Lampenkegel huschte nur über nackte Steinwände hinweg.
Ich drehte mich wieder um und schritt die Stufen hoch. Glenda stand noch immer auf der Stufe. In ihrem hellen Kleid war sie deutlich zu erkennen.
»Hast du etwas gefunden?«, fragte sie mich, als ich vor ihr stoppte.
»Keinen Menschen. Aber jenseits der Treppe liegt so etwas wie eine Folterkammer.«
Glenda schauderte kurz zusammen, bevor sie eine Frage stellte.
»Von Celine hast du nichts gesehen?«
»Nein. Sie nicht und auch nichts, was auf sie hingewiesen hätte.«
»Dann können wir gehen.«
»Richtig.« Ich lächelte sie an. »Wo haben Madame einen Platz reservieren lassen, um zu speisen?«
»Bestimmt nicht in der Hölle, Monsieur.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Nein, und das ist eben unser Problem…«
***
Ich hatte von dieser verdammten Dunkelheit und der relativen Enge die Nase voll und war deshalb froh, ins Freie zu gelangen, wo uns zwar auch die Dunkelheit der Nacht empfing, die jedoch normal war, denn wenn wir nach oben schauten, sahen wir einen Himmel über uns, den die Menschen als Sternenzelt beschrieben hätten. Seine dunkle Fläche hatte an vielen Stellen Löcher bekommen, durch die Licht schimmerte. Überall verteilten sich die hellen Punkte, und dazwischen sahen wir einen beuligen, bleichen Lappen, den Mond.
Es war der erste Eindruck, der uns erreichte. Der zweite, den wir wahrnahmen, erlöste uns von der Einsamkeit. Bisher war uns der Blick in die Weite genommen worden. Das hatte sich radikal verändert.
Lichter schimmerten vor uns. Licht, das sich bewegte und sicherlich nicht aus modernen Glühlampen stammte, sondern mehr aus Fackeln oder aus mit Öl gefüllten Fässern. Die Flüssigkeit wurde angezündet, um die Dunkelheit zu vertreiben, und genau dort lag unser Ziel.
»Was denkst du?«, fragte Glenda.
»Genau weiß ich es nicht. Ich gehe davon aus, dass es eine Ortschaft ist, die wir dort finden werden.«
»Ja, das glaube ich auch.«
Der Weg war leicht zu finden. Wir mussten nur geradeaus gehen.
Keiner von uns drehte sich um. Die leere Gruft wollten wir so schnell wie möglich vergessen.
Ob der Weg weit oder weniger weit war, ließ sich schwer schätzen. Wir hörten noch keine Stimmen. Das um das Licht herumliegende Ziel schien eine stumme Oase zu sein, und nur das Licht deutete darauf hin, dass es dort Leben gab.
Ein normaler Weg existierte nicht. Es gab auch keine Straße. Wir bewegten uns über das freie Gelände hinweg. Ich rechnete eigentlich damit, auf irgendwelche Felder zu stoßen, die von Bauern bewirtschaftet wurden, auch das war leider nicht der Fall.
Und so marschierten wir durch das freie Gelände auf unser Ziel zu, in dem es mehrere Lichtquellen gab, wie wir jetzt erkannten.
Aus der Ferne hatte es anders ausgesehen. Es war zudem möglich, dass sich die Felder und Äcker auf der anderen Seite ausbreiteten, hier jedenfalls war der Boden zu felsig.
Wo befanden wir uns eigentlich? Ich tippte auf Frankreich, denn die Frau auf dem Bild war eine Französin gewesen.
»Wie fühlst du dich, John?«
»Warum fragst du?«
»Nun ja, weil ich erfahren möchte, ob du dich eben so fühlst wie ich.«
»Neutral, sage ich mal.«
»Komisch.« Glenda lachte. »Eigentlich hätte ich mich auch so fühlen müssen, aber das trifft komischerweise nicht zu. Ich fühle mich ganz anders. Nicht euphorisch, aber doch gespannt, denn ich weiß, dass es bald zu einer Entdeckung kommen wird.«
»Zu welcher denn?«
»Keine Ahnung, aber sie wird sehr wichtig sein.«
»Dann hängt sie mit dem Bild zusammen.«
»Bestimmt.«
Weitere Fragen an Glenda zu stellen, brachte nichts ein. Wir würden dort, wo die Feuer brannten, schon etwas zu sehen bekommen und hoffentlich auch Aufklärung erhalten.
Die einzigen Laute, die zu hören waren, verursachten wir. Unter unseren Füßen knirschte es. Manchmal schleiften unsere Füße auch über den Boden hinweg oder wir stolperten über irgendwelche Hindernisse.
Wir mussten auch damit rechnen, dass Wachen aufgestellt worden waren. Je näher wir dem Ziel kamen, desto vorsichtiger wurden wir, und es war bereits etwas zu erkennen.
Uns fiel eine Mauer oder eine Wand auf. Sie konnte so etwas wie ein Schutzwall sein, der allerdings durch seine Löcher mehr wie ein von Monstermotten zerfressener Vorhang wirkte.
Es war auch zu spüren, dass wir in die Nähe von Menschen gerieten. Ab und zu nahmen wir einen undefinierbaren Geruch wahr, der nur in unmittelbarer Nähe von
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