1374 - Wiege der Kartanin
führt. Zuerst stellt sich Vergeßlichkeit ein, dann verliert man nach und nach sein angelerntes und ererbtes Wissen, bis man der Primitivität verfallen ist und nicht einmal mehr weiß, wie ein Griffel zu bedienen ist. Das ist die Langzeitwirkung der Strangeness, die zur Rückentwicklung ganzer Völker führt, in die unaufhaltsame Degeneration."
Rhodan erhob sich und blickte auf die schockierten Kartanin hinunter. „Es tut mir leid, aber ich dachte, Gil-Gor hätte euch über die Folgen aufgeklärt."
Mit einem Tastendruck seines Griffels sonderte er sich aus der Gesprächsblase ab und wandte sich um. „Es war nicht sehr freundlich von dir", meldete sich LEDA über den Pikosyn, „den Kartanin solche Angst durch dieses haarsträubende Schauermärchen einzujagen. Du weißt sehr wohl, daß ein so mächtiges Gebilde wie die Galaxis Hangay genug von seiner eigenen Raumzeit und Strangeness mit sich führt, daß die Bewohner nicht in diesem erschreckenden Ausmaß in Mitleidenschaft gezogen werden."
„Halte du dich da heraus, LEDA, ja?" sagte Rhodan gereizt. „Du wurdest schließlich nicht angepöbelt."
„Und ich wußte nicht, daß man deine primitiven Instinkte so einfach ansprechen kann", erwiderte LEDA. „Aber das ist nicht der Grund, warum ich mich melde. Ich glaube, ich habe die Quelle der Psikyber-Strahlung lokalisiert. Sie liegt zwei Etagen über dem Festsaal. Ich speichere die genaue Lage in deinen Pikosyn ein, damit du die Quelle anpeilen kannst. Ist dir das recht?"
„Was für eine Frage. Natürlich sollst du die Daten übertragen."
„Schon geschehen. Was wirst du jetzt tun? Gil-Gor warnen?"
„Wohl kaum", sagte Rhodan. Entweder würde Gil-Gor nicht auf ihn hören oder Alarm schlagen. Im zweiten Fall wäre der Gegner vorzeitig gewarnt und würde die Aktion, welcher Art sie auch immer war, auf einen günstigeren Zeitpunkt verschieben. Um LEDA abzuwimmeln, fügte er hinzu: „Ich muß mir noch überlegen, was zu tun ist. Wenn ich deinen Rat brauche, melde ich mich wieder."
Aber davor würde er sich hüten. Er wollte sich entfernen, als er sah, wie ein roter Kommunikationsstrahl auf ihn übersprang. Sein erster Gedanke war, daß die fünf Kartanin ihn noch einmal in eine Diskussion verwickeln wollten. Aber dann sah er aus den Augenwinkeln Beodu gestikulieren, und gleich darauf erklang seine Stimme: „Weise mich nicht ab, Waqian. Ich habe eine Bitte."
Rhodan drehte sich in seine Richtung. Beodu hatte sich erhoben, die drei weiblichen Attavennok hielten ihn jedoch an den Armen fest. „Das ist wohl nicht der Augenblick, mich mit diesem Titel anzusprechen", sagte Rhodan. „Aber falls du hierbleiben willst, um dich zu vergnügen, so habe ich nichts dagegen."
„Wieso weißt du das?" wunderte sich Beodu. „Nichts Menschliches, will sagen, nichts Vennisches ist mir fremd", sagte Rhodan lächelnd. „Danke für dein Verständnis ... Perry. Es ist wie in meinem Traum."
„Ich verstehe nur nicht, daß dich der Traum so erschreckt hat."
„Hat LEDA ihn dir nicht erzählt?" fragte Beodu verwundert. „Oder stört es dich nicht, wenn ich auf Reisen gehe - dich vielleicht für immer verlasse?"
„Hast du das geträumt?" Rhodan wurde ungeduldig. Er mußte den Psikyber-Projektor finden, um ihn zu entschärfen. „Wir reden später über deinen Traum."
Der rote Kommunikationsstrahl erlosch, und die Stille zerbarst unter dem von allen Seiten auf Rhodan einstürmenden Lärm. Er hätte sich isolieren und in eine eigene Ruhesphäre hüllen können. Aber daran lag ihm nichts.
Während er sich einen Weg in Richtung Antigravlift bahnte, schaltete er sich sogar bewußt in Gespräche ein, die Kartanin untereinander führten. Vieles davon war nichtssagend, aber einige Male schnappte er Brocken aus Unterhaltungen auf, die sich um das Projekt Meekorah drehten.
Es war erschütternd, mit anzuhören, wie oberflächlich und naiv dieses Thema behandelt wurde. Keiner der Kartanin schien sich um die technischen Probleme zu kümmern, nicht einer, der sich echte Gedanken über die zu erwartenden Veränderungen machte, die ein solcher Transfer auf die Hangay-Völker haben mußte. Keiner der Kommentare berührte das Wesentliche oder würdigte die unglaubliche technische und organisatorische Leistung dieses gigantischen Projekts.
Für die Vinau-Kartanin war es in erster Linie ein gesellschaftliches Ereignis, ein Spaziergang ins Abenteuer, ein aufregender Sprung in eine gesicherte Zukunft. Und sie sahen sich als Missionare, die den
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