1375 - Wächterin der Toten
findet.«
»Gut, lassen wir es dabei.«
»Und wer ist der junge Mann an deiner Seite?«
»Ein Freund aus London.« Johnny stellte sich selbst vor und wurde von dem Pfarrer angeschaut.
Er machte beim ersten Hinschauen keinen sehr angenehmen Eindruck. Der Mann war mehr der Typ Feldwebel. Groß, knochig, mit einem breiten Gesicht, zu dem die fast viereckige Stirn passte, deren Haut zahlreiche dünne Falten zeigte. Recht schmale Lippen bildeten den Mund, das eckige Kinn passte von seiner Form ebenfalls dazu, und in den Augen lag kaum ein Schimmer von Wärme.
Ron Quaile gehört noch zum alten Schlag der Pfarrer, die sehr streng waren.
»Worum geht es denn?«
»Können wir das nicht in Ihrem Haus besprechen?«, fragte Clara.
Er schaute auf seine Uhr. »Nun ja, wenn es denn sein muss. Viel Zeit habe ich allerdings nicht.«
»Es wird bestimmt nicht lange dauern.«
»Gut, dann kommt rein.«
»Danke.«
Johnny hatte sich zurückgehalten. Er wollte den Geistlichen auf keinen Fall provozieren. Schließlich war ihnen seine Hilfe wichtig, und er sah nicht aus, als würde er mit sich spaßen lassen.
Johnny hatte mal in einem Kinofilm einen Wanderprediger erlebt.
So wirkte auch Ron Quaile. Was ihm zur Filmfigur fehlte, war ein großer schwarzer Hut.
Es war kühl im Haus. Das Wohnzimmer glich mehr einem Arbeitszimmer. Ein großes Kreuz hing an der Stirnwand, ein Becken mit Weihwasser war auch vorhanden, und auf dem Schreibtisch stand das frugale Mahl des Geistlichen. Auf einem Teller verteilte sich irgendeine Müsli-Pampe, die als Zusatz frisches Obst bekommen hatte. Waldbeeren und Kirschen.
»Dann setzt euch mal.«
Damit war die alte Ledercouch mit hoher Rückenlehne gemeint.
Das Leder war zwar leicht brüchig, aber es glänzte auch wie frisch gewachst.
»Was zu trinken?«
»Wasser, bitte.«
»Gut.«
Der Geistliche verschwand, um eine Flasche zu holen. Clara und Johnny blieben wie zwei arme Sünder auf der Bank sitzen, und nur ihre Augen bewegten sich.
Der Pfarrer schien die Dunkelheit zu lieben. Es gab zwar Lichtquellen, die blieben jedoch ausgeschaltet. Die dunklen Möbel und die kleinen Fenster sorgten dafür, dass der Raum wohl ständig in einem ewigen Dämmerzustand lag. Es lief auch keine Musik, und doch war es nicht still, denn die Ruhe wurde durch das Ticken einer alten Standuhr unterbrochen. Auch ihr Inneres war mit dunklem Holz umkleidet.
Ron Quaile kehrte zurück und brachte eine große Flasche Mineralwasser und drei Gläser mit. Er schenkte ein, sie tranken, und dann stellte der Pfarrer das Glas weg, und wandte sich mit einer Frage an Clara.
»So, und jetzt möchte ich wissen, weshalb du ausgerechnet den Weg zu mir gefunden hast.«
»Weil ich dachte, dass sie uns helfen können.«
»Wobei?«
»Es geht um meine verstorbene Großmutter.«
Quaile, der schon steif saß, setzte sich noch aufrechter hin. »Ausgerechnet um die Person, die mir noch nach ihrem Tod Probleme bereitet hat wegen dieser Beerdigung. Soll ich ihr jetzt noch nachträglich einen Segen geben, oder was?«
Johnny sah, dass seine Freundin zusammenzuckte und dabei immer kleiner wurde. Sie tat ihm Leid, und so mischte er sich ein.
»Sollte man die Toten nicht ruhen lassen?«, fragte er.
»Ja, schon, aber ich hatte zu viel Ärger mit Jessica Lintock. Zu viele Diskussionen.«
»Worum ging es denn?«
»Um den Glauben.«
»Lehnte sie Gott ab?«, fragte Johnny weiter.
»Nein, das tat sie nicht. Aber sie hatte andere Vorstellungen als ich. Das sagte sie mir immer wieder.«
»Welche denn?«
Er winkte ab. »Es ging ihr um das Jenseits. Sie war der Meinung, dass sie mehr darüber wüsste. Ich konnte das nicht akzeptieren.«
»Kann es denn nicht sein, dass es tatsächlich der Fall gewesen ist? Ich habe von Menschen gehört, die man als Seherinnen oder als Mystikerinnen bezeichnet. Und die sind auch von der Kirche voll und ganz akzeptiert worden.«
»Stimmt. Dagegen kann man nichts einwenden. Ich will nicht erst ihre Namen aufzählen, doch ich kann dir versichern, dass Jessica Lintock nicht dazugehört hat. Sie ist eine Spinnerin gewesen, wenn du es genau wissen willst.«
»Nein, das war sie nicht!«, mischte sich Clara ein. Sie konnte die Aussage einfach nicht auf sich sitzen lassen. »Sie ist keine Spinnerin gewesen. Großmutter wusste sehr genau, was sie tat.«
»Ach ja? Davon hast du doch keine Ahnung.«
»Habe ich schon, denn ich habe oft mit ihr über diese Dinge gesprochen. Wir sind uns sehr wesensgleich. Außerdem hat sie
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