1375 - Wächterin der Toten
mit mir auch öfter über ihr Begräbnis gesprochen.«
»Oh, da bin ich aber gespannt. Das ist ja ein Theater gewesen. Jeder normale Mensch möchte auf unserem Dorffriedhof liegen und nicht auf dem alten Totenacker dort draußen im Gelände. Es hat mich verdammt viel Nerven gekostet.«
»Sie hatte einen Grund, Herr Pfarrer.«
»Ja, Starrsinn.«
»Nein!«, widersprach Clara heftig. »Das lasse ich nicht auf meiner Großmutter sitzen.«
Ron Quaile sah aus, als wollte er die junge Frau anspringen.
Widerspruch war er wohl nicht gewohnt. Er schaute sie scharf an und wunderte sich darüber, dass sie seinem Blick standhielt.
»Was hat sie dir denn für eine Ausrede untergeschoben, Clara?«
»Sie musste es tun. Es war ihre Berufung, das hat sie immer gesagt. Sie hat nicht nur die Figuren der Engel und Heiligen gesammelt, sie hat sie in ihr Herz geschlossen, und sie hat es geschafft, Kontakt zu ihnen aufzunehmen.«
Der Pfarrer lachte. »Ja, so etwas hat sie mir auch schon erzählt. Sie sprach von Kanälen zum Reich der Geister. Wer soll das schon glauben? Ich nicht. Für mich gibt es nach wie vor nur das Gebet und nicht so einen Zirkus.«
»Da tun sie ihr im Nachhinein noch Unrecht. Meine Großmutter hat den Kontakt tatsächlich hergestellt. Sie wusste genau Bescheid, und das ist wunderbar gewesen. Sie ist zwar tot, aber ich spüre dennoch, dass sie immer um mich herum ist.«
»Das ist deine Sache. Ich weiß bis heute noch immer nicht genau, weshalb sie gerade auf diesem alten Totenfeld draußen begraben werden wollte.«
»Sie wollte ihn befreien«, erklärte Clara.
»Ach!«, staunte Ron Quaile, »was du nicht sagst. Wovon wollte sie denn den Friedhof befreien?«
»Vom Bösen.«
Nach dieser Antwort herrschte zunächst tiefes Schweigen. Auch Johnny Conolly wusste nicht, was er sagen sollte. Er merkte jedoch, dass sie vor dem eigentlichen Thema standen und die Tür dazu schon aufgestoßen worden war.
Sehr genau schaute er sich den Pfarrer an und stellte fest, dass dieser zunächst mal nichts sagen wollte und mit einem grüblerischen Gesichtsausdruck sitzen blieb.
»Ja, Herr Pfarrer, das ist so gewesen.«
»Und weiter?«
»Das müssten Sie doch auch wissen. Ich habe keine Ahnung, was es mit dem Friedhof auf sich hat. Mir ist nur vorhin sein Name eingefallen. Hat man ihn nicht mal als Teufelsloch bezeichnet?«
Quaile senkte den Blick. »Das hat man. Aber das ist einfach nur Schwachsinn.«
»Die Menschen hier in Tullich sehen das anders.«
»Sie sind eben zu abergläubisch.«
»Aber von ihnen hätte sich niemand auf dem Friedhof beisetzen lassen wollen. Man fürchtete sich. Auch wenn Sie nicht daran glauben wollen, meine Großmutter hat es getan. Sie wollte als Gerechte dort liegen, um ihn wieder normal zu bekommen, sage ich mal.«
Clara hatte Probleme mit ihrer Stimme. Zuletzt klang sie fast erstickt. In den Augen schimmerten Tränen. »Ich kenne die genaue Geschichte nicht, aber dort in der Erde muss etwas Grausames begraben liegen. Und Sie wissen das auch, Herr Pfarrer. Sie geben es nur nicht zu!«
Ron Quaile sagte nichts. Er senkte nur den Blick und schaute auf seine knorrigen Finger. Auf dem kleinen an der linken Hand steckte ein Siegelring, dessen dunkle Oberfläche lackiert war.
»Eine uralte Geschichte. Mehr ist es nicht. Ja, ich kenne sie, weil ich in den Kirchenbüchern darüber gelesen habe.«
»Und worum ging es da?«
»Um zwei Diebe.«
»Ach.«
»Ja, sie haben gestohlen und sind erwischt worden. Die Zeiten damals waren noch andere, und ich kann die Menschen verstehen, dass sie so gehandelt haben.«
»Warum? Was haben die Diebe denn gestohlen?«
»Zwei Kinder!«
Clara und Johnny schauten sich an. Beide konnten den Schauer nicht unterdrücken. Warum hatten die Fremden Kinder gestohlen?
Das wollten sie genau wissen, aber der Pfarrer drückte sich vor einer Antwort. Er wollte nichts sagen.
»Warum denn nicht?« Jetzt setzte auch Johnny nach. »Es kann unter Umständen sehr wichtig sein.«
»Weil es zu grausam ist.« Der Geistliche hatte seine Sicherheit verloren. Er bewies damit, dass auch er nur ein Mensch war. »Es ist einfach so grausam«, wiederholte er. »Man kann es als normaler Mensch nicht fassen. Sie holten sich die toten Kinder, um sie dann…«, er sprach nicht weiter und holte scharf Atem. Den Rest des Satzes gab er auch nur durch eine Geste preis, indem er seine Hand zum Mund führte.
»Nein«, flüsterte Clara, »nein…«
»Doch. So ist es gewesen, wenn ich den
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