138 - Die Pestburg
Toten.
„Wir begraben ihn später", sagte Janko. „Komm, wir müssen Bethela suchen, vielleicht lebt sie noch."
Janko schien Ludomils Tod nicht so wie mich zu treffen. Mit ihm hatte er sich nicht so gut verstanden, Bethela stand ihm näher.
Ich folgte Janko, der nun lief. Doch bald schon verloren wir die Spuren. Es dauerte einige Zeit, bis wir einen weiteren Stiefelabdruck fanden.
Irgendwo wimmerte jemand leise.
„Bethela!" brüllten wir.
Wir rannten los, und nach etwa vierzig Schritten schob Janko einen Busch zur Seite.
„Bethela", stammelte er. „Du lebst!"
„Nicht mehr lange." Die Stimme der Zigeunerin war kaum zu hören.
Zögernd blieb ich neben Janko stehen und sah sie an. Ihr Anblick schmerzte mich, und einen Augenblick blieb mir der Atem weg. Meine Brust krampfte sich zusammen.
Ihr Gesicht war von der Pest zerfressen, der Schädel war fast kahl, und rund um sie verstreut lagen weiße Haarbüschel.
„Ich bin froh, daß ihr mich gefunden habt", lispelte sie. Bethela versuchte ein Lächeln, was ihr aber kläglich mißlang. Ihre farblosen Lippen bebten. „Ich habe die Wölfe von der Lichtung fortgelockt. Es sind Diener des Schrecklichen, dessen Name nicht genannt werden darf."
Die Zigeunerin schloß die Augen, und ihre Wimpern zuckten leicht.
„Ich bin schwach", hauchte sie. „Unendlich schwach. Ich fürchte mich nicht vor dem Tod, denn ich habe ihn hundertfach verdient. Es war wahnsinnig gewesen, daß ich mich mit dem Schrecklichen verbündet habe. Seit diesem Zeitpunkt an wurde ich von seinen Dienern verfolgt. Als ich mich endlich aufraffte und mich gegen den Schrecklichen stellte, war es bereits viel zu spät. Meine vielen Sünden rächen sich nun."
„Wer ist der Schreckliche?" fragte Janko mit bebender Stimme.
„Sein Name darf nicht genannt werden, denn sonst merkt er, daß man über ihn spricht. Hütet euch vor den Dämonendienern, sie treten in den verschiedensten Gestalten auf. Verratet niemals daß ihr zu mir gehört habt, denn das würde euer Ende sein. Ich habe euch geschützt. Der Schreckliche wird euch in Ruhe lassen, doch ihr dürft ihn nicht herausfordern, sonst wird er euch so wie mich vernichten. Vergeßt, daß ich gelebt habe."
„Wir werden dich nie vergessen, Bethela", sagte ich leise.
„Ihr müßt mich vergessen!"
Mühsam öffnete sie die glasigen Augen und blickte zuerst Janko liebevoll an, dann mich.
„Hör mir gut zu, Gabor", raunte sie mir zu. „Gabor ist nicht dein richtiger Name, den habe ich dir gegeben. Du kannst dich an deine Kindheit nicht mehr erinnern, denn ab deinem 4. Lebensjahr warst du bei der Familie Troger, die du für deine Eltern gehalten hast. Bei Ausbruch des Krieges kamen sie ums Leben und ich nahm dich bei mir auf. Es gibt Dokumente, Gabor, die ich vergraben habe. Du bist von edler Herkunft, Gabor."
Erschöpft schwieg die Zigeunerin.
Fassungslos hatte ich zugehört.
„Die Dokumente…" Das Sprechen bereitete ihr unendliche Mühe. „Sie sind in einer Burg versteckt. Der Plan ist in meinem Rock eingenäht. Achte darauf, daß sie nicht in die Hände der Kaiserlichen geraten."
„Du sprichst…"
Doch sie unterbrach mich. „Gabor, du bist einer der…"
Ihre Hände krampften sich zusammen, und ihr Atem kam rasselnd. Sie schloß die Augen, und ihr Gesicht verzerrte sich. Ein leises Wimmern kam über ihre Lippen.
„Der Schreckliche, hütet euch vor…"
Das waren ihre letzten Worte. Ihr Kopf fiel langsam zur Seite, und ihre Brust hob sich nicht mehr. „Sie ist tot", stammelte ich.
„Geh zum Wagen, Gabor, und hole zwei Schaufeln. Wir werden Bethela hier begraben."
Wie betäubt torkelte ich zum Wagen. Ich konnte es noch immer nicht glauben, daß die beiden Menschen, die ich über alles geliebt hatte, tot waren. Es war einfach unglaublich, daß sich innerhalb eines Tages mein Leben völlig verändert hatte.
Die Pferde begrüßten mich mit einem zufriedenen Schnauben, und ich gab ihnen unser letztes Wasser zum Saufen, dann kehrte ich mit den Schaufeln zu Janko zurück.
In der Zwischenzeit hatte er die Kleider der Toten durchsucht und tatsächlich einen Plan gefunden, den er mir reichte. Achtlos schob ich ihn in meine Hose.
Schweigend begruben wir Bethela, Ludomil und den Landsknecht.
Mir erschien alles wie ein böser Traum, aus dem ich bald erwachen würde. Ich wußte, daß ich der Wirklichkeit entfliehen wollte, doch das störte mich im Augenblick nicht.
Irgendwann würde sich das Gefühl der unendlichen Leere in Trauer und
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