1388 - Kurier nach Tarkan
machen. Denn die Grenzlinie war ein Gebilde des 4-D-Kontinuums, während Operator Zeta im Hyperraum lag. Man hätte von einer Abbildung des Hyperraums auf das 4-D-Kontinuum sprechen müssen. In dieser Abbildung fiele der Punkt Operator Zeta auf die vorgenannte Grenzlinie. Ebenfalls in dieser Abbildung lag Operator Zeta 53 Lichtjahre vom gegenwärtigen Standort der CIMARRON entfernt. Das Schiff würde sich ihm mit mäßiger Geschwindigkeit nähern, so verlangte es das von Geoffry Waringer entwickelte Kursprogramm, das den Grigoroff-Projektor steuerte. Der Überlichtfaktor würde während des bevorstehenden Flugabschnitts nur wenig mehr als 255.000 betragen. Das bedeutete, daß die CIMARRON Operator Zeta nach 109 Minuten Flugdauer erreichte.
Er sah den Ziffern des Chronometers zu. Als sie auf 14.50.00 sprangen, setzte weit vorne im Bug des Schiffes ein halblautes Rumoren ein. Das Feldtriebwerk hatte die Tätigkeit aufgenommen. Der Hypertron-Projektor baute den Hamiller-Punkt auf, jenes virtuelle Gravitationszentrum, auf das die CIMARRON zustürzen würde, sobald das Feldtriebwerk die Grenze seiner Leistungsfähigkeit erreicht hatte. Wenn der erforderliche Beschleunigungswert erreicht war, würde sich der Hamiller-Punkt in den Metagrav-Vortex verwandeln, der in Wirklichkeit ein lineares Einstein/Rosen-Loch war und der CIMARRON den Eintritt in den Hyperraum ermöglichte.
Reginald Bull wartete geduldig. Er spürte keine Unruhe mehr. Er hatte einen Vorgang eingeleitet, dessen Ablaufmechanismen so unanschaulich waren, daß der menschliche Verstand sich vergebens bemühte, ein Bild des Geschehens zu entwerfen. Wer diesen Flug mitmachte, der tat gut daran, die feste Überzeugung zu entwickeln, daß Geoffry Waringer und seinen Mitarbeitern bei der Formulierung der Theorie der parallelen Universen kein Fehler unterlaufen war.
Als die Sterne erloschen und das kühle Grau des Hyperraums sich auf den Bildflächen ausbreitete, dachte Bull: Die nächsten Sterne, die ich sehe, gehören zu Tarkan.
Und ein paar Sekunden später fügte er in einem Anflug von Defätismus hinzu: Entweder das - oder es war alles umsonst.
*
Eirene hatte sich auf der Liege ausgestreckt. Die Uhr an der Wand zeigte 15.58. In gut zwanzig Minuten würde das Hypnotron, das über ihr an der Decke montiert war, zu arbeiten beginnen. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie es sein würde, wenn sie in das Reich des Schlafes hinüberglitt. Sie war hellwach. Eine intensive, innere Unruhe ließ keinen Gedanken an Schlaf aufkommen. Würde es dem Hypnotron gelingen, die Unruhe zu überwinden?
Die Gefahr, die von den Hauri ausging, war überstanden. Sie hatte gewußt, daß es so kommen würde.
Nicht die Hauri, sondern etwas ganz anderes und Unbegreifliches stellte die eigentliche Bedrohung dar.
Die Gefahr hing mit der Strangeness zusammen; anders konnte es nicht sein. Strangeness, das war ein Phänomen wie der Raum und die Zeit, hatte Geoffry Waringer erklärt. Sie erwuchs aus der Theorie der parallelen Universen als eine der fünf Koordinaten, die gebraucht wurden, um den Zustand eines Universums zu definieren. Der Beobachter definierte die Strangeness des eigenen Universums als null.
Andere Universen hatten von null verschiedene positive oder negative Strangeness-Werte. Je größer die Abweichung von null, desto weiter war das andere Universum von dem des Beobachters entfernt. Es hatte Versuche gegeben, die Strangeness zu normieren, so daß sie nur positive Werte zwischen null und eins annehmen konnte. Aber die Theorie hatte eine solche Normierung letzten Endes nicht zugelassen.
Worin sich die Strangeness von den wesentlich banaleren Phänomenen Raum und Zeit unterschied, war, daß von einer plötzlichen StrangenessÄnderung eine hyperenergetische Wirkung ausging, die imstande war, dem der Änderung unterworfenen Objekt physische - und im Fall eines belebten, organischen Objekts auch psychische -, Schäden zuzufügen. Nikki Frickel und ihre Begleiter waren monatelang bewußtlos gewesen, nachdem sie unversehens die Grenze des soeben materialisierten ersten Hangay-Viertels überschritten hatten. Eirene selbst hatte sich niemals einem Strangeness-Wechsel unterzogen.
Wie würde sie den Einflug nach Tarkan überstehen? Der Schemen mit der rauhen Stimme hatte ihr erklärt, sie brauchte nichts zu befürchten. Sie war bereit, ihm zu glauben. Denn beim Übertritt nach Hangay hatte sie nicht die geringste Wirkung gespürt. Was aber würde aus den anderen werden?
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