1393 - Werwolf-Nacht
dass wir eine gewisse Erfahrung haben. Und es ist wirklich besser, wenn ihr hier zusammen unter der Brücke bleibt. Achtet auf die Hunde, wenn sie unruhig werden.«
Ich hatte genug gesagt, nickt Benny und Suko noch zu, dann machten wir uns auf den Weg.
Neben der Brücke stiegen wir einen Hang hoch, um die Straße zu erreichen. Von ihr selbst war nicht mehr viel zu sehen. Dafür hatte zum einen die Witterung gesorgt und zum anderen das Unkraut, dass aus den zahlreichen Spalten wuchs.
Unterhalb und rechts und links des rostigen Geländers glänzte der dunkle Fluss. Es kam uns vor wie ein breites Band aus Teer, auf dessen Oberfläche jemand ein Wellenmuster hinterlegt hatte. Das Gewässer war harmlos. Kein Werwolf würde hindurchschwimmen.
Jedenfalls hatte ich davon noch nichts gehört.
Wir ließen die Brücke hinter uns, blieben stehen, und unsere Blicke streiften über das leere, in Dunkelheit gehüllte Land. Da gab es keine Bewegung. Kein Werwolf huschte durch die Nacht, dessen kalte Augen wir hätten glänzen sehen.
Aber wir hatten die Warnung nicht vergessen. Das Heulen klang mir noch jetzt in den Ohren nach. Gleichzeitig überlegte ich, ob wir uns richtig verhielten. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, hätten wir einen Wagen genommen.
»Du denkst das Gleiche wie ich, John.«
»Ach. Was denke ich denn?«
»Dass dein Rover uns jetzt gut getan hätte.«
»Ach. Warum nicht dein BMW?«
»Der ist zu schade für das Gelände.«
Ich ging auf die lockere Antwort nicht ein und überlegte tatsächlich, ob ich den Rover nicht holen sollte. »Okay, einer von uns könnte zurückgehen und…«
»Nicht nötig, John.«
Suko hatte die Veränderung als Erster bemerkt. Weit vor uns, die Entfernung war schlecht zu schätzen, entdeckten wir zwei helle Lichter, die die Finsternis an zwei Stellen aufgerissen hatten. Nur lagen beide Kreise nicht weit voneinander entfernt, und so war klar, dass es sich um ein Scheinwerferpaar handelte.
»Ich denke mal, dass wir den Wagen nicht mehr brauchen«, sagte Suko.
»Meinst du, dass sich die Werwölfe neuerdings motorisiert haben? Gehen sie mit der Technik?«
»Ich glaube gar nichts. Aber wenn du genau hinschaust, wirst du sehen, dass sich die Scheinwerfer bewegen, und zwar in unsere Richtung!«
»Nun ja«, sagte ich, »dann lass sie mal kommen…«
***
Kiri Bayonne wusste, dass ihre Mutter zu einem Problem geworden war. Sie hatte sie lange genug in dieser Doppelgestalt erlebt. Wenn sie so reagierte wie jetzt, war das ein Hinweis darauf, dass sie dicht davor stand, die Kontrolle über sich zu verlieren. Es war wie im Büro. Da hatte Kiri sie auch nicht zurückhalten können.
Ihr Körper zuckte. Sie starrte mit ihren kalten Augen zur anderen Seite des Flusses hin. Aus dem Rachen drangen scharfe Geräusche, und wieder musste Kiri feststellen, dass Alice die Verwandlung perfekt hinter sich gebracht hatte, was ihr selbst noch bevorstand.
Bisher war es bei dem seichten und sich sanft anfühlenden Pelz geblieben, über den jetzt der leichte Nachtwind hinwegstrich und sie etwas schaudern ließ.
Dicht hinter ihrer Mutter blieb sie stehen. Sie nahm deren fremden Geruch wahr. Erst als auch Kiri in den Kreislauf mit hineingeraten war, hatte sie sich daran gewöhnen können.
»Du hast dein Blut gehabt, Mutter!«
Die Werwölfin schüttelte wild den Kopf. So erhielt Kiri Bayonne den Beweis, dass es nicht genug gewesen war. Auch hatte ihre Mutter den Kopf leicht nach links gedreht. Sie schaute zwar noch immer über das Wasser hinweg, jetzt aber mehr nach links, denn sie beobachtete sie Stelle unter der Brücke, wo die Feuer brannten.
Kiri wusste, ihre Mutter brauchte Menschen. Sie wollte das Blut, sie war gierig darauf, zu töten. Der Drang ließ sich nicht unterdrücken, aber das gefiel Kiri nicht. Es würde zu viel Aufsehen erregen, wenn die Obdachlosen in dieser Nacht reihenweise abgeschlachtet wurden, auch wenn diese Menschen nicht eben zu den Bürgern gehörten, um die man sich kümmerte.
Das Knurren nahm an Lautstärke zu, und die Bewegungen verstärkten sich. Sie schleuderte ihren Körper mal nach links, dann zur anderen Seite hin, und als Kiri ihr die Hand auf die mit Fell bedeckte Schulter legte, wischte Alice sie weg.
»Gut«, sagte sie, »gut. Ich weiß ja, dass es dir nicht besonders geht. Ich habe Augen im Kopf. Lass uns fahren.«
Die Werwölfin hatte es verstanden. Sie legte den Kopf zurück und schickte ein knappes Jaulen in die Nacht. Es war ein Ausdruck der
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