1393 - Werwolf-Nacht
Tochter Kiri genau die Hälfte davon.
Zudem hatte Kiri noch ein Problem. Vor kurzem hatte sie bei ihrer Mutter im Büro nachgeschaut und erlebt, dass die Veränderung wieder durchbrechen würde. Es war ein unheimlicher Vorgang, den sie kannte, und wenn es wieder passierte und das Tier in ihnen durchbrach, mussten sie allein sein und nach Möglichkeit auch wegfahren in das freie Gelände. Es dauerte immer seine Zeit, bis die Zweitgestalt perfekt war. Da erlebte man die Schmerzen, denen man sich nicht entziehen konnte und die einfach dazugehörten. Doch wenn es vorbei war, gab es nichts mehr, was sie noch an einen Menschen erinnerte.
Leider lief die Verwandlung nicht lautlos ab. Das hatte Kiri bei ihrer Mutter gehört. Das Stöhnen, auch das Heulen, zum Glück nicht so laut, als dass es durch den Laden geklungen wäre. Doch darauf wollte sich Kiri nicht verlassen. Sie musste jetzt endlich dafür sorgen, dass der Kunde den Laden verließ.
Er stand nicht mal weit von der Bürotür entfernt. Dort stand ein alter Garderobenständer auf dem Holzboden, an dessen Armen einige Wolltaschen hingen.
Ob der Kunde sich wirklich dafür interessierte, war nicht zu erkennen. Es war Kiri auch egal. Sie wollte ihn einfach nur loshaben.
»Hören Sie, Mister…«
»Ja?« Er drehte sich herum.
Kiri schaute in die kalten Augen. »Wir haben jetzt Feierabend«, erklärte sie mit kalter Stimme. »Wir schließen. Sollten Sie nichts kaufen wollen, möchte ich Sie jetzt zum letzten Mal bitten, endlich zu gehen. Auch wir brauchen unsere Ruhe.«
Der Kunde nickte. »Verstehe ich.«
»Danke.«
»Aber ich wollte diese Tasche hier nehmen.« Er zog eine vom Haken, die aussah wie ein schlaffer Beutel und eine Sandfarbe besaß.
»Gut. Ich gebe sie Ihnen für…«
»Nein, nein, ich habe nur Euro. Ich bin nicht von hier. Tourist vom Festland, verstehen Sie.«
»Mit Euro können Sie auch zahlen.« Kiri Bayonne warf einen abschätzenden Blick auf die Tasche und nannte dann den Preis. »Fünf Euro.«
»Vier…«
Sie wollte nicht lange handeln und war froh, dass der Typ endlich verschwinden wollte. »Okay, vier Euro.«
»Super.« Er war bereits auf dem Weg zur Kasse. Dabei griff er in die rechte Tasche seines langen Mantels. Kiri rechnete damit, dass er sein Geld hervorholen würde, doch da hatte sie sich getäuscht, denn als sie hinter die kleine Theke trat, auf der die Kasse ihren Platz gefunden hatte, da zog der Kunde plötzlich eine Pistole hervor und richtete die Mündung über die Theke hinweg auf Kiri Bayonne.
»Reicht das?«, fragte er.
Kiri stand unbeweglich. Sie hielt dem Blick stand. »Sie sind verrückt, Mister?«
»Nein, ich bin pleite, und das soll sich ändern. Mach die Kasse auf, sonst jage ich dir zuerst eine Kugel in die linke Schulter und dann in die rechte.«
Kiri blieb noch immer ruhig. »Sie sollten besser von hier verschwinden«, riet sie.
»Öffne die Kasse!« Die Stimme klang jetzt noch bedrohlicher, und der Blick war es auch. »Es wird kein anderer Kunde hier erscheinen, weil ich abgeschlossen habe. Danke übrigens, dass der Schlüssel von innen steckte. Also?«
»Ich habe hier kaum Geld.«
»Öffne die Kasse trotzdem.«
Kiri kannte sich mit Menschen aus. Sie wusste, dass der Mann nicht bluffte. Die Kasse passte zu ihrem Laden. Sie war ein altmodisches und hohes Modell. Wenn sie auf einen Knopf drückte, sprang die Lade mit einem Klingeln auf.
So geschah es auch jetzt.
»Rühr dich nicht!«
»Schon gut!«
Der Dieb beugte sich über die Theke hinweg. So konnte er von der Seite her in den Inhalt der Lade schauen. Er hatte kaum einen Blick hineingeworfen, als er einen Fluch ausstieß.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass so gut wie kein Bargeld in der Kasse liegt. Das sind zwanzig Pfund und ein bisschen Kleingeld. Es war ein schlechter Tag heute.«
Mit der freien Hand grapschte er nach dem Schein, steckte ihn ein und richtete die Mündung der Waffe jetzt auf den Kopf der jungen Frau.
»Ich kenne mich verdammt gut in Trödellädenaus«, flüsterteer.
»Ich weiß, dass immer Geld da ist. Ich weiß auch, dass ihr ein Büro habt. Genau dort werden wir beide jetzt hingehen.«
»Dort ist nur meine Mutter.«
»Ja, und das Geld!«
»Nein!«
»Geh vor!«
Kiri Bayonne zögerte nur kurz. Es hatte keinen Sinn, wenn sie den Mann warnte. Er war eigentlich zu jung zum Sterben. Nicht mal dreißig. Seine langen Haare hatte er in den Nacken gekämmt und sie dort mit einem Gummiband zusammengebunden. Um das Kinn herum
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