1394 - Die Rachehexe
schon, dann aber fing er an zu weinen, was ich gut fand, denn Tränen können erlösend sein.
Ich ließ ihn zunächst mal in Ruhe und schaute mich nach seiner Kleidung um. Sie war ihm vom Körper gerissen und dann zu Boden geworfen worden. Ich brachte sie zu dem Mann, dem ich anschließend auch ein Taschentuch reichte.
»Wir haben Zeit genug, Mister. Lassen Sie das alles mal langsam angehen.«
»Danke, danke…«
Ich winkte ab und drehte mich zur Seite. Dankesbezeugungen bereiten mir immer Probleme. Es war einfach meine Pflicht gewesen, dem Mann zu helfen. Außerdem war ich gerade noch rechzeitig gekommen. An einigen Stellen hatte sein Körper schon etwas abbekommen. Zumindest musste sich ein Arzt um die Brandverletzungen kümmern.
Allein anziehen konnte er sich nicht. Durch die angespannte Lage und die Fesselung war sein Blut gestaut worden. Jetzt musste der Kreislauf wieder richtig in Gang kommen, was dauerte und auch mit Schmerzen verbunden war. Doch er lebte. Alles andere zählte nicht.
Er hatte es geschafft, sich hinzusetzen, wenn auch mit meiner Unterstützung. Er zitterte, und sein Blick war ins Leere gerichtet. Aber er dachte dabei auch nach, und manchmal schüttelte er den Kopf.
Ich zog ihn an. Dabei schaute ich des Öfteren zum Eingang hin, weil ich hoffte, dass Jane Collins dort erscheinen würde. Leider war von ihr nichts zu sehen und auch nichts zu hören. Aber ich hatte mitbekommen, dass da noch eine Person im Raum gewesen war, hatte auch Geräusche eines kurzen Kampfes gehört und ging davon aus, dass Jane diese Person jagte.
Pullover, Hose, Jacke, Socken und Schuhe – das streifte ich dem Bedauernswerten über, der mit mir kein Wort sprach, obwohl er vor sich hinflüsterte und manchmal stöhnte, wenn der Stoff gegen seine Brandwunden drückte. Der Mann sah elend aus, aber wenn ich in seine Augen schaute, dann sah ich einen Ausdruck, der auf einen bestimmten Willen schließen ließ. Aufgeben würde er nicht.
»Das war knapp, nicht?«, flüsterte er mir zu.
»Stimmt.« Ich erhob mich aus meiner hockenden Haltung. »Mein Name ist übrigens John Sinclair.«
»Ich heiße Alan Quint.«
»Und Sie stammen hier aus Preston?«
»Sicher. Ich bin hier geboren.« Er stöhnte, weil er sich wieder bewegt und daher wieder seine Brandverletzungen spürte. »Daran muss ich mich erst noch gewöhnen.«
»Ich werde Sie zu einem Arzt fahren.«
Quint schluckte. »Ja, die Wunden müssen behandelt werden. Ausgerechnet jetzt passiert das.«
»Wie meinen Sie?«
»Heute Abend ist doch die Feier.«
»Ich weiß.«
»Sind Sie auch deswegen hier?«
»Man könnte es so sagen.«
Alan Quint lächelte kantig. »Wir haben wirklich alles versucht. Wir wollten die Menschen rehabilitieren, die den Morden damals zum Opfer fielen. Ich weiß das sehr gut.«
»Gehören Sie zu den Leuten, die es organisiert haben?«
»Ich war dabei.«
Nach einer kleinen Pause fragte ich: »Und warum wollte man Sie dann foltern und umbringen?«
»Das ist eine längere Geschichte.«
»Ich höre trotzdem zu.«
»Rache«, sagt er leise. »Es ging schlicht und einfach um Rache. Da will jemand eine Ahnin rächen. Sie gibt sich mit der offiziellen Entschuldigung nicht zufrieden. So ist das.« Quint nickte, um seine eigenen Worte zu bestätigen. »Sie heißt Schibone. Cornetta Schibone. Damals ist eine Hexe verbrannt worden, die ein Kind hatte. Das Kind konnte gerettet werden. Menschen aus dem Süden haben es mitgenommen. Italiener. Sie waren wohl reisende Händler, die quer durch das Land zogen, um ihre Waren zu verkaufen. Und eine Nachfahrin dieser Person ist Cornetta Schibone. Sie will sich nun rächen.«
Darüber musste ich erst nachdenken, bevor ich fragte: »Ist sie denn eine Hexe – oder sieht sie sich als solche?«
Alan Quint schaute mich an. »Das weiß ich nicht genau. Es kann sein. Aber wenn es stimmt, dann müsste es ja Hexen in der Wirklichkeit geben.«
Ich hob die Schultern. »Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen, Mr. Quint. Es ist möglich, weil in dieser Welt eigentlich alles möglich ist.«
Er schwieg. Ich sah ihn zittern. Seine Lippen bewegten sich, doch es drang nicht ein Wort hervor. Es war besser, wenn wir zu einem Arzt gingen, der sich um ihn kümmerte.
Als ich ihm das sagte, lächelte er und fragte: »Wollen Sie denn bei mir bleiben?«
»Das hatte ich mir so gedacht. Gibt es denn einen Arzt hier in Preston?«
»Sicher. Das ist Dr. Gant.«
»Gut. Dann gehen wir.«
Er stand auf, doch er musste sich
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