1396 - Das Blut der Sinclairs
darüber hinweg und schwenkte von einer Seite zur anderen.
»Ich bin hier!«, rief sie.
Der helle Arm stoppte.
»Ja, hier!« Sie winkte jetzt heftig.
Es dauerte nur kurze Zeit, da wurde sie von dem hellen Strahl getroffen. Und wenig später stand auch der Mann neben ihr, der die Lampe festhielt.
Er leuchtete Jane an, und sie schloss die Augen. »He, was machen Sie denn hier?«
»Fragen Sie mich nicht.«
»Sie zittern ja.«
Jane musste lachen. »Und ob. Sie würden auch zittern, wenn Sie den Marsch hinter sich hätten. Ich will Sie ja nicht drängen, Mister, aber ich denke, dass mir etwas Warmes jetzt gut tun würde.«
»Kein Problem, kommen Sie mit ins Haus. Und ich denke, dass Sie uns einiges zu erzählen haben.«
»Darauf können Sie sich verlassen…«
***
Das warme Licht, der Stuhl mit dem dicken Kissen auf der Sitzfläche, der Holztisch, auf dem die Kerzen standen und den Schein verbreiteten, die Wärme, die das Feuer im Kamin abgab – all das kam Jane Collins wie ein Traum vor.
Es war keiner. Sie erlebte jede Sekunde und kostete sie auch aus.
Sie hielt die Tasse mit dem Tee zwischen den Händen. Das Getränk war mit einer gehörigen Portion Rum veredelt worden, und Jane merkte, wie die Lebensgeister wieder in sie zurückkehrten, denn die Wärme tat ihr verdammt gut.
Sie hatte Glück, dass es ihr gelungen war, das Haus der Familie Nolan zu finden. Edgar Nolan und seine Frau Kate hatten sehr schnell erkannt, was mit ihr geschehen war. Man hatte ihr sogar die Schuhe ausgezogen, sodass Jane sich ihre Füße abtrocknen konnte, denn beide waren im Marsch nass geworden.
Die Schuhe standen am Kamin, um zu trocken, ihr Mantel lag auch dort, und sie selbst hatte um ihren Körper eine Schafswolldecke gewickelt, die wunderbar wärmte.
Zwei Kinder lebten noch bei den Nolans, um die sich Kate kümmerte. Die beiden waren durch das Bellen des Hundes erwacht und hatten natürlich nachschauen wollen. Kate hatte dafür gesorgt, dass sie wieder zurück ins Bett gingen.
Edgar saß bei Jane am Tisch und zog hin und wieder an seiner Pfeife. Der Geruch des würzigen Tabaks schwängerte die Luft, und als Jane die Tasse fast leergetrunken hatte, schloss sie die Augen.
Dabei hatte sie auch weiterhin das Gefühl, unterwegs zu sein, aber wenn sie die Augen öffnete, blickte sie gegen die Flammen der Kerzen und sah dahinter verschwommen das Gesicht des Bauern, in dem zwei buschige Augenbrauen auffielen, die dunkelblond waren wie das Haar, das er wegen seiner Länge nach hinten gekämmt und im Nacken mit einem Gummi zusammengebunden hatte. Er sah mehr aus wie ein Althippie, aber wahrscheinlich gehörte er zu der neuen Generation von Landwirten, die sich auf einen biologischen Anbau spezialisiert hatten.
Er hatte noch keine Fragen gestellt, doch Jane wusste, dass sie noch kommen würden.
»Möchten Sie noch einen Schluck?«
Jane lachte. »Nein, danke, ich habe Ihnen schon genug Arbeit gemacht. Außerdem möchte ich nüchtern bleiben. Der Rum haut ganz schön in die Glieder.«
»Das kann man sagen.«
Kate Nolan kehrte zurück. Lächelnd trat sie in den Schein der Kerzen. »So, die beiden sind jetzt ruhig und schlafen. Ich hoffe, dass Ben nicht mehr bellt.« Sie nahm bei ihrem Mann Platz und lächelte Jane zu.
Kate wirkte etwas scheu. Sie war recht schmal, aber auf ihrem Kopf wuchs wunderschönes schwarzes Haar, das sie sogar zu einem altmodischen Kranz geflochten hatte. Ihre dunklen Augen schauten offen und ehrlich in die Welt.
»Fühlen Sie sich jetzt besser, Jane?«
»Danke, ja. Es war eine Erholung nach all den Strapazen, die hinter mir liegen.«
»Und wie sind Sie in diese Lage gekommen?«, erkundigte sich Edgar Nolan.
Jane hatte gewusste, dass die Frage kommen würde, und sie hatte sich erst gar nicht die Mühe gemacht, nach einer Ausrede zu suchen.
Deshalb blieb sie bei der Wahrheit.
»Sie werden lachen oder auch nicht. Aber ich bin aus einem fahrenden Zug gesprungen.«
Die beiden Menschen sagten nichts. Sie schauten sich nur an.
»Es ist die Wahrheit.«
Kate beugte sich vor. »Aber… aber warum?«
»Verbrecher wollten mich erschießen. Es war die einzige Chance, ihrer Kugel zu entkommen.«
»Dann ist der Zug überfallen worden?«
»Man kann es so sagen. Es gibt eine Strecke, auf der er langsamer fahren muss. Dort ist es dann passiert. Ich war nicht allein, aber wo sich mein Begleiter jetzt befindet, weiß ich nicht. Ich hoffe nur, dass er überlebt hat. Wahrscheinlich ist auch er abgesprungen oder
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