1396 - Die verborgene Welt
Antigravschächten schien ihnen immerhin geläufig zu sein. Sie landeten leicht und sicher. Dao-Lin hielt sich in ihrer Nähe. Sie schien zumindest für den Augenblick vergessen zu haben, daß sie den beiden imponieren wollte - und sie tat es in diesem Augenblick dennoch stärker als je zuvor, auch wenn sie sich dieser Tatsache wahrscheinlich gar nicht bewußt war: Die beiden duckten sich förmlich hinter sie, als sie ruhig und dennoch kampfbereit um sich schaute. „Wir haben die Qual der Wahl", stellte Narktor fest.
Sie standen auf dem runden Grund des Schachtes. Fünf Gänge führten nach verschiedenen Richtungen.
Nikki Frickel sah sich nachdenklich um. „Da hinein!" sagte sie dann und deutete auf den einzigen Gang, der nichts als totale Finsternis für die Eindringlinge bereithielt.
4.
Das Licht der Scheinwerfer schwankte bei jedem Schritt und enthüllte eine verwirrende Vielfalt von Farben und Formen. Die Wände des Korridors waren mit Zeichen und Hinweisen übersät, die leider alle miteinander eines gemeinsam hatten: Sie waren völlig unverständlich. Aber irgendwann durchschritten sie eine Sperre, die schwer zu definieren war, und vor ihnen dehnte sich eine seltsam vertraute und dennoch fremdartige Welt aus.
Unwillkürlich blieben sie stehen. „Was ist das?" wisperte Wido Helfrich schließlich in schwer erklärbarer Scheu.
Narktor räusperte sich mehrmals. „Eine Höhle, nehme ich an", flüsterte er schließlich. „Du bist wohl verrückt", behauptete Wido, und diesmal klang seine Stimme schon wieder fast normal.
Aber er hatte recht.
Es konnte keine Höhle sein. Denn er hatte je eine Höhle gesehen, die im vollen Sonnenschein lag, angefüllt mit Wiesen und Wäldern, Bächen und Seen, so unendlich weit, daß der Blick eines Menschen bis zum Horizont reichte?
Und doch mußte es eine Höhle sein, denn alle Meßinstrumente behaupteten einstimmig, daß sie sich mehrere tausend Meter unterhalb des Niveaus der Ebene befanden, in der die Schiffe der Benguel gelandet waren. „Könnt ihr da oben immer noch keine Hohlräume anmessen?" fragte Nikki Frickel leise in ihr Funkgerät.
Keine Antwort. „Muron! Bist du eingeschlafen?" Nichts. „Die Höhle ist abgeschirmt", vermutete Narktor. „Sonst hätte man sich auch nicht die Mühe machen müssen, die Sendeanlage oben auf dem Berg zu errichten."
„Ich gehe zurück und sage der SORONG Bescheid", entschied Nikki Frickel. „Seht euch inzwischen hier um."
„Laß mich das erledigen", bat Wido Helfrich mit einem vielsagenden Blick auf Dao-Lin und die beiden Kartanin. Die Kommandantin der SORONG nickte ihm zu, und er eilte mit langen Schritten davon.
Nikki Frickel konzentrierte sich erneut auf die Höhle.
Der Gang, durch den sie gekommen waren, endete auf halber Höhe eines sanft geneigten, mit Gras und Blumen bewachsenen Hanges. Rund einhundert Meter tiefer begann der Wald - ein schier unglaublicher Wald mit uralten, knorrigen Bäumen, dunkel und geheimnisvoll. Ein paar schlanke, gazellenähnliche Tiere suchten am Waldrand nach Nahrung.
Der Wald endete am Fuß des Hanges. Dahinter lag offenes, grasbewachsenes Land, von glänzenden Bächen und Seen durchzogen. Jenseits des breiten Tales zog sich hügeliges Gelände bis zum Horizont hin.
Nikki Frickel betrachtete die „Decke" der Höhle, die einem ganz natürlichen Himmel glich, wenn man einmal davon absah, daß es keine Wolken gab.
Man mußte schon sehr genau hinsehen, um zu erkennen, daß dieser künstliche Himmel Zonen unterschiedlicher Helligkeit enthielt.
Nirgends gab es Spuren von Besiedlung - keine Wege, keine Dörfer. Es sah fast so aus, als hätte man diese Höhle nur angelegt, um sie dann den Pflanzen und Tieren zu überlassen.
Ein unvorstellbarer Gedanke!
Aber wo steckten die Besitzer dieser Höhle? „Es hat wenig Sinn, sie da unten zu suchen", bemerkte Dao-Lin und stieß den Kartanin mit dem gepuderten Schnurrbart an. „Li-Nar, kannst du dir einen Reim darauf machen?"
„Was fragst du mich?" erkundigte sich Li-Nar mit leichtem Stottern. „Ihr müßtet euch doch hier besser auskennen als Ter-Kin und ich!"
„Er will es einfach nicht glauben", murmelte Dao-Lin. „Es sieht jedenfalls nicht so aus, als hätten die Hauri dies alles angelegt", meinte Narktor.
Nikki Frickel zuckte die Schultern. „Sehen wir uns die anderen Gänge an", schlug sie vor.
Sie gingen bis zum Liftschacht zurück. „Wido, wie steht's?" fragte Nikki per Funk. „Ich fürchte, ich muß aus diesem Schacht
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