14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
unterirdischen Gang verbunden, der unter dem Euphrat hinlief, wie z.B. der Tunnel unter der Themse. Die hervorragendsten Gebäude der Stadt waren: das alte Königsschloß, über eine Meile im Umfang, der neue Palast, mit dreifachen Mauern umgeben und zahllosen Bildhauerarbeiten geschmückt, und die hängenden Gärten der Semiramis. Diese bildeten ein Quadrat von 160.000 Quadratfuß Flächenraum und wurden von einer 22 Fuß dicken Mauer umgeben. Auf großen, gewölbten Bogen erhoben sich amphitheatralisch angelegte Terrassen, zu denen man auf 10 Fuß breiten Stufen gelangte. Die Plattformen dieser Terrassen waren mit 16 Fuß langen und 4 Fuß breiten Steinen belegt, um kein Wasser hindurch zu lassen; auf den Steinen war eine dicke Lage verkittetes Rohr, dann zwei Reihen gebrannter Ziegel, welche mit Harz gut verbunden waren, und dann hatte man das Ganze noch mit Blei bedeckt, auf dem man die beste Pflanzenerde so hoch aufgeschüttet hatte, daß die stärksten Bäume bequem Wurzel schlagen konnten. Auf der obersten Terrasse befand sich ein Brunnen, der das nötige Wasser in Fülle aus dem Euphrat sog und über die Gärten ergoß. In den Hallen einer jeden Terrasse hatte man prächtige, zur Nachtzeit illuminierte Gartensäle angebracht, in denen man den Duft der köstlichen Blumen und die herrlichste Aussicht auf die Stadt und deren Umgebung genießen konnte.
Das hervorragendste Gebäude Babels aber war der Baalsturm, von welchem uns die Bibel 1. Mos. 11 berichtet. Die heilige Schrift gibt keine genaue Höhe an; sie sagt nur: ‚dessen Spitze bis an den Himmel reicht‘. Die Talmudisten behaupten, der Turm sei 70 Meilen hoch gewesen; nach orientalischen Traditionen war er 10.000 Klafter, nach anderen Überlieferungen 25.000 Fuß hoch, und es soll eine Million Menschen zwölf Jahre lang daran gearbeitet haben. Das ist natürlich übertrieben. Die Wahrheit ist, daß sich allerdings mitten aus dem großen Tempel des Baal ein Turm erhoben hat, dessen Basis ungefähr tausend Schritte im Umfang hatte, während seine Höhe 6-800 Fuß betrug. Er bestand aus acht übereinander stehenden Abteilungen, von denen immer die höhere eine kleinere Grundflüche hatte, als diejenige, von welcher sie getragen wurde. Durch einen achtmal um den Turm führenden Stiegengang gelangte man auf die Höhe des Bauwerkes. Jede einzelne Abteilung enthielt große, gewölbte Hallen, Säle und Gemächer, deren Bildsäulen, Tische, Sessel, Gefäße und andere Gerätschaften von massivem Gold waren. Im untersten Stockwerk stand die Bildsäule des Baal, die tausend babylonische Talente wog, also einen Wert von mehreren Millionen Taler besaß. Das oberste Stockwerk trug ein Observatorium, auf dem die Astronomen und Sterndeuter ihre Beobachtungen machten. Xerxes beraubte den Turm aller Schätze, welche nach Diodorus 6.300 Talente in Gold betragen haben sollen.
Hierzu sagt die morgenländische Mythe noch, daß sich in dem Bauwerk ein Brunnen befunden habe, der grad so tief gewesen sei, wie der Turm hoch war. In diesem Brunnen sind die gefallenen Engel Warud und Marud mit Ketten an den Füßen aufgehangen, und in seiner Tiefe liegt die Lösung aller Zauberei verborgen.
Das war Babel. Und jetzt …!
Hier am Birs Nimrod dachte ich mich in die Heimat, in die stille Stube zurück, mit der aufgeschlagenen Bibel vor mir. Wie oft hatte ich die Weissagung Jeremias gelesen, welche wie Posaunenschall über das von Gott gerichtete Sinear erklang! An den Wassern Babylons, am Ufer des Euphrat und an den Rändern der Seen und Kanäle saßen die heimatlosen Söhne Abrahams; ihre Psalter und Saitenspiele hingen stumm an den Weiden, und ihre Tränen flossen zum Zeichen der Buße ob ihrer Sünden. Und wenn eine der Harfen erklang, so ertönte sie vor Sehnsucht nach der Stadt, die das Heiligtum Jehovas barg, und der Schluß des Klageliedes war: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von denen mir Hilfe kommt.“ Und der Herr erhörte das Gebet. Es erklang die gewaltige Stimme Jeromijahus aus Anathot, den wir Jeremias nennen, und das weinende Volk lauschte seinen Worten:
„Dies ist das Wort des Herrn wider Babel und das Land der Chaldäer: Es ziehet von Mitternacht ein Volk herauf, das ihr Land zur Wüste machen wird; es hat Bogen und Schild und ist grausam und unbarmherzig; sein Geschrei ist wie das Brausen des Meeres. Fliehet aus Babel, damit ein jeder seine Seele errette, denn es ist ein Kriegsgeschrei im Lande und großer Jammer. Es spricht der Herr Zebaoth: Siehe,
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