14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
nach der ‚geraden Straße‘ ein. Mit bloßen Füßen in Pantoffeln, mit herabhängenden Turbantüchern und dampfenden Tschibuks ritten wir gravitätisch wie türkische Paschas die reich belebte Straße entlang, um in das Christenviertel zu gelangen. Wir durchschlenderten dieses Quartier gemächlich und bemerkten dabei, daß die meisten Passanten ihr Ziel gegen das Thomastor genommen zu haben schienen.
„Dort muß etwas zu sehen sein“, wandte ich mich an den Diener.
„Ja, Effendi, sehr viel“, antwortete er. „Es ist heut das Fest Er-Rimal (des Pfeilschießens), wo man mit den Bogen schießt. Wer sich vergnügen will, geht vor die Stadt in die Zelte und Gärten, um zu sehen, welche Freude Allah ihm bereitet hat.“
„Das können wir auch tun, denn es ist noch nicht spät am Tag. Kennst du den Ort?“
„Ja, Effendi.“
„So führe uns!“
Wir ließen unsere Tiere schärfer traben und gelangten bald durch das Tor hinaus in die Ghuta, wo auf allen Wegen und Plätzen reges Leben herrschte. Ich sah bald, daß Er-Rimal ein Fest sei, an welchem sich die Anhänger aller Religionen beteiligen durften, ein Fest, unserm deutschen Vogelschießen ähnlich; doch konnte ich von unserm Begleiter nicht erfahren, welchen Ursprung es habe.
Auf freien Plätzen waren Zelte errichtet, in denen Blumen, Früchte und allerlei Eßwaren verkauft wurden. Seiltänzer, indische Gaukler, Feuerfresser, Schlangenbeschwörer trieben überall ihr Wesen; bettelnde Derwische machten die Passage unsicher; Kinder lärmten, Lastträger zankten, Kamele schrien, Pferde wieherten, Hunde bellten, und dazu in den Musikzelten ein Blasen, Kratzen, Schlagen und Zerren auf allen möglichen und unmöglichen Instrumenten – es war das wirkliche Vogelschießtreiben, nur auf anderem Schauplatz und mit anderen Gestalten. Von einem regelrechten Pfeilschießen nach dem Ziel sah ich nichts. Ich sah allerdings hier oder da einen Mann oder Knaben einen bunt befiederten Stab vom Bogen schnellen, aber das geschah nur so beliebig, so nebenbei, und wen oder was dieser Pfeil traf, das war sehr gleichgültig.
So ritten wir an einer langen Reihe von Scherbet- und Frucht-Verkäufern hinab, als ich plötzlich meinen Esel anhielt und lauschte. Was war denn das? Hatte ich recht gehört? Vor einem großen Zelt waren sehr viele Leute versammelt; aus demselben ertönten Violinen- und Harfenklänge, und jetzt, richtig, fiel nach beendetem Zwischenspiel eine abgejagte Sopranstimme in der reinsten erzgebirgischen Mundart ein:
„Zum heil'gen Ab'nd um Mitternacht
Da fließt statt Wasser Wein,
Und wenn 'ch mich nur net färchten tät
Da holt 'ch mir 'n Topp voll 'rein.“
„Sihdi, was ist das!“ rief Halef. „Hier singt ein Weib. Ist das möglich?“
Ich nickte bejahend und hörte noch die nächste Strophe:
„Mer hab'n aach neunerlei Gericht,
Aach Wurscht und Sauerkraut;
Das hat mei' Alte vorgericht't,
Die alte, gute Haut.“
Hier konnte ich unmöglich vorüberreiten; hier mußte ich einmal einkehren, um zu sehen, ob ich recht vermute. Ich stieg ab und winkte Halef, mir zu folgen, während der Diener bei den Tieren blieb. Wir drängten uns durch die Menge und traten ein. Vor der Tür saß ein grimmiger, schwarzbärtiger Türke und schnauzte uns entgegen:
„Her kischi bir Gurusch – pro Person einen Piaster!“
Ich zahlte das Entree und blickte mich dann im Zelt um. In die Erde geschlagene Pfähle und darauf genagelte Latten bildeten Bänke und Tische, ganz nach schöner, deutscher Vogelwiesensitte; auf diesen Bänken und an diesen Tischen hockten, eng aneinander gedrückt, weit mehr als hundert Araber, Türken, Armenier, Kurden, Juden, Christen, Drusen, Maroniten, Baschi-Bozuks, Arnauten und so weiter; sie tranken Scherbet oder Kaffee, rauchten oder kauten Gebäck und Früchte; im Hintergrund war das ‚Büffet‘, und daneben saßen auf einem echten Podium zwei Violinisten, zwei Harfenistinnen und eine Gitarrespielerin, alle zusammen in Tiroler Tracht.
Ich schritt bis ganz nahe an sie heran, schob ganz einfach, ohne erst zu fragen, die elf Köpfe zählenden Inhaber einer Bank noch enger zusammen und setzte mich mit Halef nieder. Dieses summarische Verfahren mochte uns die Achtung des ‚Kellners‘ erworben haben, denn er eilte sofort herbei und forcierte eine tiefe Reverenz.
„Scherbet für zwei!“ bestellte ich und hatte für die zwei fünf Piaster zu bezahlen. Das waren ja wirkliche Hotelpreise!
Unterdessen war das Lied, von welchem keiner der
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