14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
Baruch war vor Schreck ganz sprachlos, und seine Frau konnte sich nicht rühren. Wir trösteten beide so gut wie möglich, packten ihre wenigen Habseligkeiten zusammen und versprachen ihnen eine freundliche Aufnahme bei Maflei. Einige Lastträger waren bald zur Stelle, und so verließen wir ein Logis, welches wir nicht ganz einen Tag bewohnt hatten, während doch die Miete für eine ganze Woche entrichtet worden war. Der reiche Bäcker hatte an dem alten Haus jedenfalls keine Million verloren.
Wir fanden zu so später Stunde natürlich Mafleis Haus verschlossen, doch wurde uns auf unser Klopfen sehr bald geöffnet. Die Glieder der ganzen Familie versammelten sich; sie waren sehr enttäuscht, als sie hörten, daß unser Unternehmen auf diese Weise geendet hatte. Lieber hätten sie Abrahim Mamur in ihrer Gewalt gehabt, doch befriedigten sie sich schließlich mit der Überzeugung, daß er in den Fluten seinen Lohn gefunden habe.
Baruch wurde mit seinem Weib willkommen geheißen, und der Hausherr versicherte ihm, daß er für ihn sorgen werde.
Schließlich, als uns gesagt worden war, daß wir unser Gartenhaus wieder bereit finden würden, bemerkte Isla mit freudigem Angesicht:
„Effendi, wir haben heute, als du abwesend warst, einen unerwarteten, aber sehr lieben Gast erhalten. Rate einmal, wer es ist!“
„Wer kann da raten! Kenne ich ihn?“
„Gesehen hast du ihn noch nicht, aber erzählt habe ich dir von ihm. Ich werde ihn rufen, und wenn du ihn gesehen hast, sollst du raten.“
Ich war ein wenig gespannt auf diesen Gast, denn er mußte mit unseren Erlebnissen in Beziehung stehen. Nach kurzer Zeit trat Isla mit einem ältlichen Mann ein, den ich allerdings noch nicht gesehen hatte. Er trug die gewöhnliche türkische Kleidung und hatte nichts an sich, was mich auf die richtige Spur hätte bringen können. Seine sonnverbrannten Züge waren kühn und scharf geschnitten, doch die Falten, welche sein Gesicht durchfurchten, und der lange, schneeweiße Bart gaben ihm ein Aussehen, als habe er an einem schweren Kummer zu tragen.
„Dies ist der Mann, Effendi“, meinte Isla. „Nun rate!“
„Ich errate es nicht.“
„Und doch wirst du es erraten!“ Und an den Fremden sich wendend, bat er: „Rede ihn in deiner Muttersprache an!“
Der Mann machte eine Verbeugung gegen mich und sagte:
„Szluga pokoran, wiszoko poeschtowani – Ihr ergebener Diener, mein hochgeehrter Herr.“
Dieser höfliche, serbische Gruß brachte mich sofort auf die rechte Fährte. Ich reichte dem Mann beide Hände entgegen und antwortete:
„Nubo, otatz Osco, dobro, mi docschli – sieh da, Vater Osco! Willkommen!“
Es war wirklich Osco, der Vater von Senitza, und ich richtete große Freude damit an, daß ich ihn an diesem serbisch-montenegrinischen Gruß erkannt hatte. Natürlich war jetzt von Schlaf noch keine Rede, denn ich mußte zunächst wissen, wie es ihm ergangen war.
Seit dem Verschwinden seiner Tochter, außer welcher er kein Kind besaß, war er ruhelos umhergewandert. Er hatte hier und da geglaubt, eine Spur von ihr gefunden zu haben, war aber immer bald zu der Einsicht gelangt, daß er sich getäuscht habe. Not hatte er während dieser Irrfahrten, welche sich meist über Kleinasien und Armenien erstreckt hatten, nicht gelitten, denn er war mit reichlichen Mitteln versehen gewesen. In echt orientalischer Weise hatte er den Schwur getan, die Heimat und sein Weib nicht eher wiederzusehen, als bis er sein Kind gefunden habe, war aber durch die Vergeblichkeit seiner Bemühungen gezwungen worden, nach Konstantinopel zu gehen. Eine solche Odyssee ist nur im Orient möglich; bei den geordneten Zuständen des Abendlandes würde sie ein Wahnsinn zu nennen sein. Man kann sich vorstellen, welche Freude der Montenegriner gehabt hatte, da er seine Tochter als das Weib des Mannes fand, für den er sie hatte suchen wollen, und nicht nur seine Tochter hatte er gesehen, sondern auch sein Weib, welches der Tochter nach Stambul gefolgt war.
Er hatte den ganzen Zusammenhang erfahren und strebte nun nach Rache. Er war entschlossen, den Derwisch Ali Manach aufzusuchen, um ihn zu zwingen, Auskunft über den Aufenthaltsort seines Vaters zu erteilen, und ich hatte Mühe, ihn zu bestimmen, diesen Besuch mir zu überlassen.
Nun erst legten wir uns schlafen, und ich kann sagen, daß ich nach der überstandenen Anstrengung sofort in Schlummer fiel, und vielleicht wäre ich am Morgen noch nicht aufgewacht, wenn ich nicht geweckt worden wäre.
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