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14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul

14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul

Titel: 14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sagen, um die Anklage dieser Männer zurückzuweisen, und bist also alles dessen schuldig, wessen sie dich bezichtigt haben. Da du ein Glied der Bande bist, welche in Stambul sündigte, so muß ich dich dorthin schaffen; dort wirst du auch die Strafe für den Raub des Mädchens erfahren; aber dafür, daß du es gewagt hast, hier in Edreneh ein Verbrechen begehen zu wollen, werde ich dir hundert Streiche auf die Füße geben lassen. Das wird sogleich geschehen!“
    Er winkte den Khawassen, welche in seiner Nähe standen, und gebot ihnen: „Holt das Brett und die Stöcke!“
    Zwei von ihnen entfernten sich, um die angegebenen Gegenstände herbeizuschaffen.
    Außer den Beamten und den Parteien war auch ein zahlreiches Publikum anwesend, welches sich eingestellt hatte, um das Schauspiel dieser Verurteilung zu genießen. In diesem Augenblick machte sich im Publikum eine Bewegung geltend, welche an sich zwar unbedeutend war, einem aufmerksamen Beobachter aber nicht entgehen konnte. Es drängte sich nämlich ein Mann langsam, doch nachhaltig von hinten nach vorn. Mein Blick fiel auf ihn. Er war lang und hager gebaut, hatte sich in die Tracht der gewöhnlichen Bulgaren gekleidet, schien mir aber keiner zu sein. Sein langer Hals, die Habichtsnase, das lange, schmale Gesicht mit dem herabhängenden Schnurrbart, die außerordentlich gewölbte Brust, das alles ließ in ihm eher einen Armenier als einen Bulgaren vermuten.
    Weshalb drängte dieser Mann sich nach vorn? Tat er es nur aus einfacher Neugierde oder hatte er vielleicht einen besonderen Zweck? Ich beschloß, ihn genau zu beobachten, es aber nicht merken zu lassen.
    Die Khawassen kamen zurück. Der eine von ihnen trug einige jener ominösen Stöcke, welche bei der Bastonade unumgänglich notwendig sind; der andere ein Brett, an welchem sich vorn und in der Mitte hänfene Schlingen befanden, um Arme und Leib des Delinquenten festzuhalten. Am hinteren Teil war eine einfache Vorrichtung angebracht, um die Beine des Verurteilten emporzuhalten, damit die entblößten Fußsohlen in eine horizontale Lage kamen.
    „Zieht ihm das Gewand und die Schuhe aus!“ befahl der Kadi.
    Die Khawassen traten zu ihm heran, um den Befehl zu vollführen. Da endlich zeigte er, daß er sprechen könne.
    „Halt!“ rief er. „Ich lasse mich nicht schlagen!“
    Die Augenbrauen des Kadi zogen sich zusammen.
    „Nicht?“ fragte er. „Wer will es mir verbieten, dir die Bastonade geben zu lassen?“
    „Ich!“
    „Hund! Wagst du, so mit mir zu sprechen! Soll ich dir zwei Hundert geben lassen, anstatt nur ein Hundert?“
    „Nicht einen einzigen Schlag darfst du mir geben lassen! Du hast wohl verschiedenes gesagt und gefragt; aber das Notwendigste hast du doch vergessen. Oder hast du dich etwa erkundigt, wer und was ich bin?“
    „Das ist nicht nötig! Du bist ein Mörder, ein Dieb. Das ist genug.“
    „Ich habe bis jetzt noch nicht das Geringste zugegeben. Aber schlagen lassen darfst du mich auf keinen Fall.“
    „Warum?“
    „Weil ich kein Moslem bin, sondern ein Christ.“
    Während dieser Worte hatte er den Fremden bemerkt, der sich herbeigedrängt hatte. Dieser hütete sich wohl, eine verräterische Bewegung zu machen, welche ihn in den Verdacht der Bekanntschaft oder gar des Einvernehmens mit dem anderen hätte bringen können. Aber seine Miene, sein Blick, seine ganze Haltung war darauf berechnet, sich ihm zu zeigen und ihm Mut einzuflößen.
    Man sah es dem Kadi an, daß die soeben vernommenen Worte doch einigen Eindruck auf ihn machten.
    „Ein Giaur bist du?“ fragte er. „Wohl gar ein Franke?“
    „Nein; ich bin ein Armenier.“
    „Also doch ein Untertan des Padischah, dem Allah tausend Leben schenken möge! Da darf ich dich also auch schlagen lassen.“
    „Du irrst“, antwortete der Armenier, indem er sich bemühte, eine möglichst sichere Haltung anzunehmen und seinem Ton einen stolzen Ausdruck zu geben. „Ich stehe nicht unter dem Sultan, auch nicht unter dem Patriarchen. Ich bin der Geburt nach ein Armenier; aber ich bin ein evangelischer Christ geworden und als Dolmetscher bei der englischen Gesandtschaft angestellt. Ich bin in diesem Augenblick englischer Untertan und mache dich auf die Verantwortung aufmerksam, welche du auf dich ladest, wenn du mich als Untertan des Großherrn behandeln und nun gar schlagen lassen willst!“
    Der Kadi machte ein sehr enttäuschtes Gesicht. Er hatte es sich vorgenommen gehabt, dem in Adrianopel so hoch angesehenen Hulam nach allen

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