14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
Kräften zu Diensten zu sein, und nun kam ihm diese Aussage des Armeniers dazwischen.
„Kannst du es beweisen?“ fragte er ihn.
„Ja.“
„So beweise es!“
„Frage bei der englischen Gesandtschaft in Stambul an!“
„Nicht ich bin es, sondern du bist es, der den Beweis zu führen hat!“
„Ich kann ihn nicht führen, da ich ja Gefangener bin.“
„So werde ich einen Boten nach Stambul senden. Aber die hundert Streiche werden sich in das Doppelte verwandeln, wenn du mich belogen hast!“
„Ich sage die Wahrheit. Aber selbst dann, wenn dies nicht der Fall wäre, dürftest du mich nicht schlagen lassen oder ein Urteil über mich fällen. Du bist Kadi; ich aber verlange, vor ein ordentliches Mewlewit (Obergerichtshof) gestellt zu werden.“
„Ich bin dein Mewlewit!“
„Das ist nicht wahr. Ich verlange, von den Bilad i Kamse Mollatari (Molla's der fünf Städte) gerichtet zu werden. Und selbst wenn ich von einem der Kasi (Untergericht) vernommen werden soll, darf dies nicht aus einem einzigen Mann bestehen, sondern aus einem Kadi, einem Mufti, einem Naib, einem Ajak Naib und einem Basch Kiatib!“
Die von dem Armenier angeführten Behörden bedeuten der Reihe nach: Richter, Kron- oder Staatsanwalt, dessen Stellvertreter, einen Zivilleutnant und einen Gerichtsschreiber.
Jetzt machte der Kadi ein wirklich sehr verdrießliches Gesicht. Der Grimm blitzte aus seinen Augen.
„Mensch!“ rief er. „Du kennst die Gesetze und die Ordnung der Prozesse so gut und hast die Gesetze doch übertreten. Ich werde dafür sorgen, daß deine Strafe eine dreifache wird!“
„Tu, was du willst, aber sieh zu, ob es dir auch gelingt. Ich protestiere im Namen des Gesandten von Großbritannien gegen die Schläge, welche du mir zugedacht hast!“
Der Kadi blickte uns verlegen der Reihe nach an und sagte dann:
„Das Gesetz zwingt mich, auf deine Worte zu hören. Glaube aber nicht, daß deine Sache dadurch eine für dich bessere Wendung bekommt. Du bist ein Mörder und wirst deinen Kopf lassen müssen! Führt ihn in das Gefängnis zurück, und bewacht ihn zehnfach strenger als alle anderen Gefangenen!“
Der Armenier wurde abgeführt und warf vorher einen Blick des Triumphes und Einverständnisses auf den Fremden, welcher diesen Blick erwiderte, ohne daß dies – außer von mir – bemerkt worden wäre.
Sollte ich den Kadi auf diesen Mann aufmerksam machen? Was konnte es nützen? Selbst wenn der Fremde dem Gefangenen näher als gewöhnlich bekannt war, lagen keine Gründe vor, sich amtlich seiner zu bemächtigen. Und falls dies auch geschehen konnte, so war zu erwarten, daß diese beiden sich sicherlich nicht verraten würden. Ich traute überdies dem Kadi gar nicht zu, der rechte Mann für so verschlagene Leute zu sein. Darum beschloß ich, diesen Fremden ganz im stillen auf mich zu nehmen.
Die Sitzung war beendet, und die Zuschauer entfernten sich. Der Kadi trat zu Hulam, um sich zu entschuldigen, und Osco, der Montenegriner, wendete sich ärgerlich an mich:
„Habe ich es nicht gesagt, Effendi, daß es so kommen werde?“
„Diese Wendung hatte ich nicht erwartet“, antwortete ich. „Ich bin zwar kein Kadi und Mufti, aber ich denke, daß der Richter allerdings nicht anders handeln kann.“
„Er muß in Stambul anfragen, ob dieser Mensch die Wahrheit gesagt hat oder nicht?“
„Ja.“
„Aber wie lange das dauern wird?“
„Man muß sich darein fügen!“
„Und wenn er wirklich ein englischer Untertan ist?“
„So wird er dennoch seine Strafe erhalten.“
„Und ist er es nicht?“
„So hat er den Kadi belogen, und dieser wird das Seinige tun, daß der Richterspruch so streng wie möglich ausfällt. Übrigens glaube ich kein Wort von dieser englischen Untertanenschaft.“
„Oh, es ist doch vielleicht möglich. Weshalb hätte er sich eine solche Lüge aussinnen sollen?“
„Zunächst um der Bastonade zu entgehen, und sodann, um Zeit zu gewinnen. Man muß dem Kadi begreiflich machen, daß er den Gefangenen auf das strengste bewachen soll. Ich bin überzeugt, daß dieser alles tun wird, um zu entkommen.“
„Effendi, willst du nicht mit dem Kadi sprechen?“
„Tut Ihr es; mir fehlt die Zeit. Ich habe einen eiligen Weg, von dem ich Euch vielleicht nachher berichten werde. Wir sehen uns dann bei Hulam wieder.“
Der Fremde, welchen ich für einen Armenier hielt, hatte nämlich jetzt auch den Ort verlassen. Ich wollte irgend etwas über ihn erfahren, und so ging ich ihm nach. Er schritt
Weitere Kostenlose Bücher