14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
und Sonne und Mond sich verbinden, dann wird der Mensch an diesem Tag fragen: Wo findet man einen Zufluchtsort: Aber vergebens, denn es gibt keinen Ort der Rettung. Ihr liebt das dahineilende Leben und achtet nicht auf das zukünftige. Einige Angesichter werden an diesem Tage leuchten und ihren Herrn anblicken, andere aber werden traurig aussehen, denn schwere Trübsal kommt über sie. Sicherlich! Einem solchen Menschen steigt in der Todesstunde die Seele bis an die Kehle, und die Umstehenden sagen: Wer bringt zu seiner Rettung einen Zaubertrank? Dann ist die Zeit der Abreise gekommen; er legt Bein an Bein und wird an diesem Tage hingetragen zu seinem Richter, da er nicht glaubte und nicht betete. Darum wehe dir, wehe! Und abermals wehe dir, wehe! Glaubt denn der Mensch, daß ihm volle Freiheit gelassen sei? Ist er nicht ein ausgeworfenes Samenkorn? Darauf bildete ihn Gott und machte einen Menschen aus ihm. Sollte der, der dies getan, nicht auch zu einem neuen Leben auferwecken können?“
Nun wandte ich mich wieder dem Toten zu und sprach:
„Allah il Allah! Es ist nur ein Gott und wir alle sind seine Kinder. Er leitet uns mit seiner Hand und hält uns alle an seiner Rechten. Er machte uns zu Brüdern und sandte uns auf die Erde, ihm zu dienen und uns in Eintracht seiner Gnade und Barmherzigkeit zu erfreuen. Er läßt den Körper sich entwickeln und die Seele wachsen, bis sie sich nach dem Himmel sehnt. Dann sendet er den Engel des Todes, sie abzulösen und emporzutragen zum Brunnen, aus dem sie ewiges Leben trinkt. Sie ist dann frei von Schmerz und Leid und achtet nicht die Klagen derer, die um die tote Hülle trauern. Hier liegt Hadschi Mohammed Emin Ben Abdul Mutaher es Seim Ibn Abu Merwem Baschar esch Schohanah, der tapfere Scheik der Haddedihn vom Stamm esch Schammar. Er war ein Liebling Allahs; auf seiner Zunge wuchs niemals die Lüge, und aus seiner Hand floß Wohltat weithin über die Hütten, in denen Armut wohnte. Er war der Weiseste im Rat; er war ein Held im Kampf; er war ein Freund der Freunde; er wurde gefürchtet von seinen Feinden, aber geachtet von allen, die ihn kannten. Darum wollte Allah nicht, daß er abscheide im Dunkel des Zeltes, sondern er sandte Abu Dschajah (Engel des Todes), ihn abzurufen mitten im Kampf von der Seite der Krieger, die hier um ihn stehen. Nun geht der Staub zur Erde. Sein Angesicht wendet sich nach Mekka, der Goldenen, seine Seele aber steht vor dem Allerbarmer und schaut die Herrlichkeit, in die kein sterbliches Auge zu dringen vermag. Sein ist das Leben, unser aber der Trost, daß auch wir einst an seiner Seite stehen werden, wenn Isa Ben Marryam (Jesus) einst kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten!“
Jetzt traten Allo und der Soran-Kurde herzu, um das Grab zu verschließen. Schon wollte ich wieder das Wort ergreifen, als der Perser mir winkte. Er trat vor und sprach einige Sätze der zweiundachtzigsten Sure:
„Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Wenn die Himmel sich spalten und die Sterne sich zerstreuen, die Meere sich vermischen und die Gräber sich umkehren, dann wird eine jede Seele wissen, was sie getan und was sie unterlassen hat. So ist es, und doch leugnen sie den Tag des Gerichtes. Aber es sind Wächter über euch gesetzt, die da alles niederschreiben und alles sehen, was ihr tut. Die Gerechten werden verlangen die Wonne des Paradieses, die Missetäter aber die Qualen der Hölle. An diesem Tag vermag keine Seele etwas für die andere, denn an diesem Tag gehört die Herrschaft nur Gott allein!“
Jetzt war die Öffnung zugesetzt, und es bedurfte noch des Schlußgebetes. Ich hatte auch das übernommen, aber Halef trat vor. In dem Auge des wackeren kleinen Hadschi glänzten Tränen, und seine Stimme zitterte, als er sagte:
„Ich will beten!“ – Er kniete nieder, faltete die Hände und sprach: „Ihr habt gehört, daß wir alle Brüder sind, und daß Allah uns alle versammeln wird am Tage des Gerichtes. Da drüben ist die Sonne gesunken, und morgen wird sie von neuem emporgestiegen sein; so werden auch wir da oben auferwachen, wenn wir hier gestorben sind. O Allah, laß uns da zu denen gehören, die deiner Gnade würdig sind, und scheide uns nicht von denen, die wir hier lieb gehabt haben. Du bist der Allmächtige und kannst auch dieses Gebet erfüllen!“
Das war ein seltenes Begräbnis. Ein Christ, zwei Sunniten und ein Schiite hatten über dem Grab des Toten gesprochen, ohne daß Mohammed einen Blitz herniederfallen ließ. Was mich
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