14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
haben. Der Herr hat dem Hause von euch erzählt, und ihr sollt sein, als ob ihr der Herr selber wäret. Aber sage nicht Maderka! Ich bin Duschireh (Jungfrau) und werde stets nur Alwah oder auch zuweilen Halwa genannt.“
Damit trippelte sie von dannen. Alle Wetter! War es mir auf dieser Reise denn wirklich beschieden, nur anthropobotanische Studien zu machen? Erst kürzlich in Schohrd eine ‚Petersilie‘, und jetzt wieder eine Alwah, die zuweilen auch Halwa genannt wurde! Diese beiden Wörter bestehen aus ganz denselben Buchstaben, und doch wie verschieden ist ihre Bedeutung! Alwah heißt nämlich im Persischen so viel als Aloe, und Halwa ist unser liebes Tausendschönchen.
Diese gealterte Jungfrau hatte nun freilich mehr Ähnlichkeit mit der stacheligen Aloe als mit dem hübschen Tausendschönchen. Sie trug weite, am Knöchel zusammengebundene Beinkleider, deren niederhängende Falten zwei graue Filzpantoffeln fast bedeckten, darüber eine rottuchene Weste und dann ein kaftanartiges, dunkelblaues Obergewand, auf dem Kopf einen gelben Turban und daran zwei saloppe Schleierflügel, die hinten einen haarlosen Nacken und vorn das eigentümlich gezeichnete Gesicht einer Schleiereule sehen ließen. Doch schien diese ‚tausendschöne Aloe‘ ein recht freundliches Gemüt zu besitzen, und ich beschloß, mich zu ihr auf einen möglichst freundschaftlichen Fuß zu stellen.
Sie hatte die Taba zur rechten Zeit gebracht, denn just als sie sich zum Gehen wandte, begann Halef zu gähnen und schlug dann die Augen auf. Er blickte erstaunt im Kreis umher, richtete sich zum Sitzen empor und fragte dann ganz verwirrt:
„Maschallah! Dort steht die Sonne! Habe ich mich umgewandt oder hat sie sich umgedreht?“
Es ging ihm wie mir: er konnte es sich nicht denken, so lange geschlafen zu haben, und sein Erstaunen wuchs, als er erfuhr, daß Amad el Ghandur sich nicht mehr bei uns befinde.
„Fort? Wirklich fort?“ fragte er. „Ohne Abschied? Bei Allah, das ist nicht recht von ihm! Aber was tun nun wir? Jetzt hast du keine Verpflichtungen mehr, die dich nötigen, zu den Weideplätzen der Haddedihn zurückzukehren.“
„Ich denke im Gegenteil, daß ich sie noch habe. Glaubst du, ich werde dich verlassen, ohne überzeugt zu sein, daß du sicher zu Scheik Malek und zu Hanneh deinem Weib, gelangst?“
„Sihdi, diese beiden befinden sich sehr wohl und werden warten müssen, bis ich komme. Ich liebe Hanneh, aber ich werde nicht eher von deiner Seite weichen, als bis du zurückkehrst in das Land deiner Väter.“
„Ich kann ein solches Opfer nicht von dir fordern, Halef.“
„Nicht von mir, sondern von dir ist es ein Opfer, mich bei dir zu behalten, Sihdi. Beschließe, was du willst; ich folge dir, wenn du nicht die Grausamkeit hast, mich von dir zu weisen!“
Jetzt brachten die Perser aus dem Fluß reichliche Beute von Fischen herbei, aus denen das Nachtmahl bereitet wurde. Ich schloß mich von demselben aus, da ich bereits gegessen hatte, und erstieg den Felsblock, um am Grab des Haddedihn dem Untergang der Sonne zuzusehen.
Dieses einsame, hoch gelegene Grabmal erinnerte mich an das Felsenmonument, das wir dem Pir Kamek im Tal Idiz errichtet hatten. Wer hätte damals beim Begräbnis des dschesidischen Heiligen ahnen können, daß Mohammed Emin auf so ferner, kurdischer Höhe seine letzte Ruhestätte finden würde! Es war mir so trüb und traurig zu Mute, und ich fühlte eine solche Leere in mir, als sei mit dem Freunde auch ein Teil meines eigenen Wesens von mir gewichen. Und doch sollte man am Grab eines guten Menschen nie trauern; der Tod ist ja der Bote Gottes, der uns nur naht, um uns empor zu führen zu jenen lichten Höhen, von denen der Erlöser seinen Jüngern sagte: „In dem Hause meines Vaters sind viele Wohnungen, und ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten.“ Das Leben ist ein Kampf; man lebt, um zu kämpfen, und man stirbt, um zu siegen. Darum die Mahnung des Apostels: „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, und ergreife das Leben, dazu auch du berufen bist!“
Die Sonne küßte den Horizont, und ihre scheidenden Strahlen färbten denselben mit flammenden Lichtern, die sich, dem Osten entgegen, in immer milderen Tinten verloren. Die bewaldeten Höhen unter mir glichen einem grünen Meer, über dessen erstarrte Wogen die Dämmerung ihre langsam vorrückenden Schatten breitete. Nur über die nahe liegenden Kämme merkte man den Abendwind streichen, vor dessen Hauch sich die Wipfel leise neigten. Die Schatten
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