14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
tief verschleierten Frauen.
„Emir, ich will den Vater begraben. Werdet ihr mir helfen?“ fragte mich Amad el Ghandur.
„Ja. Wo soll er begraben werden?“
„Dieser Mann sagt, droben zwischen den Felsen sei ein Ort, den die Sonne begrüßt, früh, wann sie kommt, und abends, wann sie geht. Ich will mir diesen Ort ansehen.“
„Ich werde dich begleiten“, erwiderte ich.
Kaum bemerkte der Perser, daß ich mich erhoben hatte, so kam er herbei, um mir den Morgengruß zu bringen, und als er von unserm Vorhaben hörte, bot er sich zur Begleitung an. Wir fanden hoch droben auf dem Scheitel der Höhe einen mächtigen Felsblock und beschlossen, auf der Platte desselben das Grab zu errichten. In der Nähe lag die dürftige Hütte des Soran-Kurden, und etwas weiter fort befand sich ein ringsum abgeschlossener freier Platz, der sich ganz ausgezeichnet zu einem Lager eignete, zumal er einen Quell besaß. Wir berieten uns und wurden einig, hier zu bleiben und unsere Tiere und Habseligkeiten herbeizuschaffen.
Dieses letztere verursachte einige Schwierigkeiten, aber es gelang. Während die Unverletzten und weniger Verwundeten die schwerere Arbeit an dem Grabmal übernahmen, errichteten die andern für die Frauen eine bedeckte Hütte, die von dem Aufenthalt der Männer durch eine undurchsichtige Wand aus Zweigen abgesondert wurde. Da die Pferde die Ausdünstung der Kamele nicht ertragen können, so wurden sie von denselben getrennt.
Am Mittag war im Lager bereits alles in schönster Ordnung. Der Perser besaß einen guten Vorrat von Mehl, Kaffee, Tabak und anderen notwendigen Dingen. Fleisch konnten wir uns unschwer mit der Büchse verschaffen, und so brauchten wir nicht zu fürchten, Not zu leiden.
Das Grabmal wurde erst später fertig. Es bildete einen über acht Fuß hohen Steinkegel, in dem eine Höhlung gelassen war, um die Leiche aufzunehmen, welche zur Zeit des Mogreb (Gebet beim Untergang der Sonne) beerdigt werden sollte. Amad el Ghandur selbst bereitete sie zum Begräbnis vor, obgleich er sich dadurch, nach den Regeln seines Glaubens, verunreinigte.
Die Sonne stand nah am Horizont, als sich der kleine Trauerzug in Bewegung setzte. Voran schritten Allo und der Soran-Kurde, die auf einer aus Ästen gefertigten Bahre den Toten trugen; wir andern folgten paarweise, und Amad el Ghandur erwartete uns am Grab. Die Öffnung desselben wies nach Westsüdwest, genau die Kibbla von Mekka, und als man den Toten hineinsetzte, war sein Angesicht nach jenen Gegenden gerichtet, in denen der Prophet der Moslemim die Besuche und Offenbarungen der Engel empfing.
Amad el Ghandur trat bleichen Angesichtes zu mir und fragte:
„Emir, du bist zwar ein Christ, aber du warst in der heiligen Stadt und kennst das heilige Buch. Willst du deinem toten Freunde die letzte Ehre erweisen und über ihn die Sure des Todes sprechen?“
„Gern, und auch die Sure des Verschließens.“
„So laß uns beginnen!“
Jetzt hatte die Sonne ihren westlichen Horizont erreicht, und alle sanken nieder, um in der Stille das Mogreb zu beten. Dann erhoben wir uns wieder, einen Halbkreis um die Öffnung des Grabmales bildend.
Es war ein weihevoller Augenblick. Der Tote saß aufrecht in seiner letzten Wohnung. Die Abendröte warf purpurne Strahlen über sein marmorbleiches Angesicht, und der hier oben kräftigere Hauch des Windes ließ seinen langen weißen Bart erzittern.
Da wandte sich Amad el Ghandur nach der Richtung von Mekka, erhob seine ineinander verschlungenen Hände und sprach:
„Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis sei Gott, dem Weltenherrn, der da herrschet am Tag des Gerichtes. Dir wollen wir dienen, und zu Dir wollen wir flehen, auf daß Du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die Deiner Gnade sich erfreuen, und nicht den Weg derer, über welche Du zürnest, und nicht den Weg der Irrenden!“
Jetzt erhob ich ebenso wie er die Hände und sprach aus der fünfundsiebzigsten Sure, die ‚die Auferstehung‘ betitelt ist, die Worte:
„Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Ich schwöre bei dem Tag der Auferstehung, und ich schwöre bei der Seele, die sich selbst anklagt: will der Mensch wohl glauben, daß wir seine Gebeine einst nicht zusammenbringen werden? Wahrlich, wir vermögen es, selbst die kleinsten Gebeine seiner Finger zusammenzufügen; doch der Mensch will selbst das, was vor ihm liegt, gern leugnen. Er fragt: Wann kommt denn der Tag der Auferstehung? Wenn das Auge sich verdunkelt und der Mond sich verfinstert
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