140 - Die Loge des Gehenkten
Wenn du mich fragst, wie ihr euch schützen sollt, Abe, muß ich dir leider antworten: Ich weiß es nicht.«
***
Nero Quater zog sich mit seinen Schwestern zurück. Zu viele Männer befanden sich im Haus der Bodegars. Sie würden zu einem späteren Zeitpunkt wiederkommen. Vielleicht schliefen die Bodegars dann schon.
Das schwarze Skelett blickte sich um. Obwohl hundert Jahre vergangen waren, hatte sich im Dorf nicht viel geändert. Nero Quater fand sich hier noch gut zurecht.
Dort drüben hatte der Galgen gestanden, und alle Dorfbewohner waren gekommen, um zuzusehen, wie Milton Bodegar ihn aufhängte. Sie waren der Meinung gewesen, der Henker würde das Dorf damit von einer schlimmen Plage befreien.
Hundert Jahre waren sie in diesem Glauben bestärkt worden, doch nun war Nero Quater wieder da, und er würde noch schrecklicher wüten als damals.
Mit der Kraft der Hölle!
Nero Quater hatte große Pläne. Das Haus, das ihm einst gehört hatte, wurde heute von jemand anderem bewohnt, aber das sollte sich ändern.
Noch bevor der Morgen graute, würde das Haus wieder ihm gehören, und jene, die jetzt darin wohnten, würden tot sein.
Die Nachkommen des Henkers und das gesamte Dorf sollten die frisch gewonnene Macht zu spüren bekommen. Alle hier sollten unter der Knechtschaft der Skelette ächzen.
An der Spitze dieses Dorfes stand der Bürgermeister.
Auch ihn sollte die Rache der Skelette treffen…
***
Jason Jennings, der Bürgermeister, seufzte. Nora, seine Frau, saß neben ihm und meckerte ununterbrochen. Großer Gott, kann sie lästig sein, dachte der schwergewichtige Mann verdrossen. Die Kutsche rollte langsam durch die Nacht. Jennings hielt die Zügel locker in seinen Händen. Er brauchte nichts zu tun. Das Pferd fand allein nach Hause.
Nora hätte es gern gesehen, wenn er sich eines dieser neuartigen Automobile zugelegt hätte. Leisten hätte er es sich können, aber so ein Gefährt hätte nicht zu dem Image gepaßt, das er sich mühsam aufgebaut hatte.
Alle sahen in ihm den bescheidenen Mann, dem sein Amt nicht zu Kopf gestiegen war und zu dem man mit all seinen Sorgen kommen konnte.
Wahlen standen vor der Tür, und ein Mann sägte seit Wochen unermüdlich an Jennings’ Stuhl. Die Anschaffung eines Automobils wäre Wasser auf die Mühlen des Kontrahenten gewesen, deshalb fuhr Jason Jennings lieber weiter mit dem Pferdewagen.
Sie kamen von einer Party nach Hause, die Carl Roomer gegeben hatte, und Nora sagte entrüstet: »Ich war von Anfang an dagegen, daß wir Carls Einladung annehmen, war ich das nicht? Aber über das, was ich will, setzt du dich ja immer selbstherrlich hinweg. Nur was du möchtest, zählt. Ich kann Carl Roomer nicht ausstehen, das weißt du.«
»Und du weißt, daß dieser Mann wichtig für uns ist«, erwiderte der Bürgermeister.
»Nicht für uns, nur für dich«, korrigierte Nora Jennings, eine verwelkte Frau Mitte Fünfzig.
»Du bist meine Frau.«
»Bin ich das tatsächlich?«
»Was soll diese Bemerkung, Nora? Wir sind seit zwanzig Jahren miteinander verheiratet…«
»Ich muß dich schon wieder verbessern: Du bist seit zwanzig Jahren mit der Politik verheiratet.«
»Wir leben immerhin nicht schlecht davon. Die Menschen in diesem Dorf dürfen erwarten, daß ich für sie da bin.«
»Und wieso bist du für mich so selten da? Kein Interesse mehr?« fragte Nora spitz. »Ich habe dir meine besten Jahre geschenkt…«
»Du bist mir immer noch lieb und wert, Nora.«
»Aber es macht dir nichts aus, wenn Carl Roomer wie ein Sittenstrolch über mich herfällt.«
»Du übertreibst.«
»Er war nahe daran, mich zu vergewaltigen, und du sagst, ich übertreibe! Ich verlange von dir, daß du ihn morgen zur Rede stellst!«
»Meine Güte, mach doch aus einer Mücke keinen Elefanten, Nora«, sagte der Bürgermeister beschwichtigend. »Du bist heute aufgebracht. Laß uns morgen noch mal in aller Ruhe darüber reden. Wenn du die Sache überschlafen hast, wirst du erkennen, daß das Ganze halb so schlimm war.«
»Halb so schlimm!« rief Nora Jennings wütend.
»Carl Roomer ist Leiter des Wahlkomitees, wie du weißt. Diesmal geht es hart auf hart. Ich kann es mir nicht leisten, Roomer wegen so einer Lappalie zu verärgern und zu verlieren.«
»Wegen einer Lappalie? Du nennst das eine Lappalie? Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?« empörte sich die Frau.
»Wenn Carl ins gegnerische Lager wechselt, bin ich erledigt. Er hat mich in der Hand. Ich kann mit Carl Roomer keinen
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