140 - Kastell der namenlosen Schrecken
Grün der Felder und das Gelb des Getreidefeldes leuchteten im letzten Sonnenlicht. Eine mächtige Gewitterwolke erhob sich im Norden. Roquette rannte aus dem Waldstück hinaus und im feuchten Gras neben dem weißen Sandpfad weiter, auf die weiße Rauchsäule des geduckten Kamins zu.
Noch eine knappe halbe Stunde, dann konnte sie die knarrende Tür hinter sich zuwerfen und alle Ängste aussperren.
Sie keuchte, der Zopf flog um ihren Hals, die Gefäße klapperten, und Roquette spürte das Brennen in der Lunge. Ihre Kehle wurde trocken, aber der Angstschweiß bildete auf ihrer weißen Haut große Tropfen.
Erschöpft verlangsamte sie ihr Laufen und blieb schließlich in der Mitte zwischen den Feldern stehen. Sie drehte den Kopf und blickte zum Wald zurück. Ihr war plötzlich, als würde ihr Blut gefrieren.
Die Reiter brachen aus dem Wald hervor.
Nicht weniger als ein Dutzend, auf hochbeinigen, dürren Pferden von schwarzer Farbe. Die Fackeln in den Händen gaben düstere Rauchwolken von sich.
Roquette schrie auf und rannte stolpernd weiter. Ihre Schritte wurden länger. Sie mußte das Haus vor den Reitern erreichen. Sie ahnte, daß mit ihr etwas unbeschreiblich Schreckliches passieren würde, wenn sie in die Gewalt der Reiter fallen würde.
Die Reiter der Darboussieres hatten ihr Opfer gesehen.
Die Hufe klapperten, und das Stöhnen und Wiehern der Pferde wurde lauter. Aus ihren Nüstern kam fahler Dunst. Kettenhemden klirrten, und die johlenden Schreie der Kerle hallten über die Felder.
Die Reiter bildeten eine gerade Linie und sprengten in rasender Eile näher. Unter den Hufen der Pferde sanken Gras und Korn zusammen, und große Erdbrocken wirbelten nach allen Seiten.
Trotz der panischen Furcht hetzte die junge Frau auf das Haus zu.
Die Hunde in den umliegenden Gehöften fingen schauerlich zu heulen und zu kläffen an. Unerbittlich kamen die Reiter näher. Das Klirren der Steigbügel und der Trensen wurde überlaut.
Die keuchenden Pferde galoppierten unermüdlich.
„Laufe ruhig", kreischte ein Reiter, „Bauerndirne. Wir kriegen dich doch."
Zwei Reiter preschten rechts und links neben ihr heran. Ein Reiter warf eine Schlinge um ihre Beine; sie stolperte, drehte sich halb und fiel ins Korn. Vor ihrem Gesicht wirbelten Flammen und Rauch einer Fackel. Nach zwei Atemzügen, in denen sie um Hilfe zu schreien versuchte, verlor Roquette das Bewußtsein.
Sie erlebte nicht mehr mit, wie der Haufen der dämonischen Reiterei sie umringte, wie sie von klauenartigen Knochenhänden hochgezerrt und vor einen Anführer quer über den Sattel geworfen wurde.
Dann stoben die Reiter, halb verborgen unter der kreisenden Wolke aus zuckenden und flatternden Kleinvampiren, wieder davon. In dieser Nacht fingen sie noch andere Opfer ein, und um Mitternacht galoppierte die schaurige Schar durch den schwarzen Wald auf das Kastell zu.
Roquette erwachte taumelnd, als ihr jemand aus einem riesigen Pokal schweren Wein zwischen die Lippen goß. Sie öffnete die Augen und sah eine Szene, die aus einem Traum stammen mußte.
Ein Bild aus einem schauerlichen Alptraum.
Ein riesiges Kellergewölbe, voller Kerzen in prächtigen Leuchtern, dehnte sich aus. Teppiche und Vorhänge, in die seltsame Muster gewebt und gestickt waren, hingen vor den Wänden. Roquette sah Kammern, Gänge, schwere, eisenbeschlagene Türen und Becken voller glühender Brocken, aus denen betäubende Dämpfe aufstiegen.
Vor ihr, in einem prächtigen, mit Fell ausgeschlagenen Sessel aus schwarzem Holz und Goldschmuck, saß Dorsan von Darboussiere. Seine grünen Augen starrten sie an. Er öffnete den Mund zu einem Lächeln kalter Grausamkeit und sagte: „Mein schönes Kind. Du bist im richtigen Augenblick gebracht worden. Wir werden dich alle verwöhnen. Willkommen in unserem Kreis."
Sie zitterte und wankte. Angst schnürte ihre Kehle zu. Dorsan machte mit der Hand, die den Pokal hielt, einladende Bewegungen. Rechts und links von ihm, an einem langen Tisch, saßen andere Mitglieder der Kastellgesellschaft.
Fassungslos starrte Roquette in Augen und Fratzen, die schlimmer waren als die Gestalten an den Kirchentüren und die Wasserspeier an den Dächern.
Schlitzaugen, gelbe Haut, lange, weiße Zähne, die nadelfein zuliefen, Haar, das sich wie ein Geflecht aus Würmern wand, spitze Ohren, haarige Hundsgesichter und solche, die den Eidechsen glichen. Die Krallen der Hände umfaßten Becher und Pokale, zerrten an den Keulen gebratenen Geflügels, und auf den
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