1406 - Der neue Baphomet
man ihr das Buch überlassen, das sogar als Bibel bezeichnet wurde.
Äußerlich war sie ruhig, aber ihr Herz schlug immer heftiger. Sie wollte nicht länger im Bett liegen bleiben und stand vorsichtig auf, um ihren Mann nicht zu wecken. Das Buch und alles, was damit zusammenging, war einzig und allein ihre Sache, weil sie jetzt die Besitzerin und Erbin der Bibel war.
Das Buch lockte sie. Ihre Füße berührten bereits den Boden. Hinter sich hörte sie weiterhin die ruhigen Atemzüge ihres Mannes. Sie gab sich einen Ruck und stand auf.
Tief durchatmen. Sich nicht nervös machen lassen. Das Buch gehörte ihr, und wenn sie ehrlich war, fühlte sie sich davon angezogen. Es lag im schwachen Licht der Deckenleuchte wie auf dem Präsentierteller. Es wartete darauf, aus der Nähe betrachtet und sogar angefasst zu werden. Das alles kam ihr in den Sinn, und ihre innere Erregung nahm zu, je näher sie dem Ziel kam.
Auf leisen Sohlen schritt sie in das Büro ihres Mannes. Godwin selbst lag in einem so tiefen Schlaf, der Sophia schon unnatürlich vorkam.
Neben dem Tisch blieb sie stehen, öffnete den Mund und musste erst mal tief Luft holen.
Danach kümmerte sie sich um den Einband. Und sie sah, dass sie sich nicht geirrt hatte.
Ja, da bewegte sich etwas!
Sophia konnte es kaum fassen, als sie ihren Blick über den Einband gleiten ließ. Die Bewegungen unter dem Leder waren an verschiedenen Stellen zu sehen. Sie verteilten sich über die gesamte Buchdeckelbreite, und so entstanden kleine Beulen, die das alte Leder in die Höhe drückten, ohne dass es brach.
Sophia wunderte sich. In den vergangenen Sekunden war ihre Kehle trocken geworden, und hinter der Stirn spürte sie einen leichten Druck. Sie war sich sicher, vor einer wichtigen Entedeckung zu stehen.
Andere wären möglicherweise geflohen. Sophia aber blieb, weil sie genau ahnte, dass diese Bewegungen nicht das Ende waren. Da würde noch etwas folgen.
Und es stimmte.
Durch den inneren Druck dehnte sich das Leder an verschiedenen Stellen noch weiter. Es wurde sehr dünn, beinahe schon durchsichtig, und es stand kurz davor, zu reißen.
Wann passierte es?
Was drückte von unten dagegen?
Fragen, aber keine Antworten. In ihrem Innern fing das große Zittern an. Sie hatte das Gefühl, in einem Eisblock eingefroren zu sein.
Vom Tisch kam sie nicht weg. Der Blick blieb nach wie vor auf das Buch gerichtet, und sie wartete darauf, dass endlich etwas passierte.
Noch drückte sich das Leder an verschiedenen Stellen in die Höhe.
Es wurde noch dünner – und platzte plötzlich!
Dies geschah so heftig und überraschend, dass Sophia es nicht schafft, den leisen Schrei zu unterdrücken.
Was sie da sah, war einfach nicht zu fassen. Unglaublich. Es gab auch keine vernünftige Erklärung.
Denn an den verschiedenen Stellen schoben sich lange, dünne Knochenfinger mit spitzen Nägeln in die Höhe…
***
Sir Richard riss den Mund auf, um all seine Emotionen loszuwerden. Er konnte nicht anders. Aber es war kein Schrei, der aus seinem Mund drang und den anderen gestoppt hätte, sondern nur ein aus der Verzweiflung geborenes Krächzen.
Obwohl alles sehr schnell ging, gelang es ihm, den Weg der blitzenden Waffe zu verfolgen. Er wartete auf das dumpfe Geräusch des Aufschlags und stellte sich vor, wie der Schädel in zwei Hälften auseinander brach, das Blut spritzte und sich die Gehirnmasse verteilte.
Der dumpfe Laut erklang, und Sir Richard zuckte zusammen. Der Säbel hatte auch getroffen…
… aber die Klinge war nicht in den Kopf eingedrungen, sondern in den Wulst der Rückenlehne.
Im Sessel saß niemand mehr. Er war leer, und Sir Richard glaubte, wahnsinnig zu werden.
»Probleme?«, fragte eine Stimme hinter ihm.
Sir Richard musste sich nicht umdrehen, denn er wusste, dass Saladin gesprochen hatte.
»Nein, verdammt, nein…«
»Doch, mein Lieber. Ich bin es. Oder haben Sie im Ernst gedacht, dass ich mir hätte den Schädel spalten lassen? Das können Sie nicht wirklich angenommen haben. Selbst ich hänge am Leben. Das musste Ihnen doch klar sein.«
»Ja, ja – ja, ja…« Sir Richard brachte nicht mehr hervor als nur dieses Stottern. Er war völlig von der Rolle, und aus dem Anführer eines alten Geheimbunds war ein Mensch geworden, der nicht wusste, was er tun sollte.
Er fühlte sich wie ein Haufen Elend, und das war ihm noch nie passiert. Dass er nicht zitterte und mit den Zähnen klapperte, kam ihm wie ein kleines Wunder vor.
»Sie, Sir, können bestimmen,
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