1407 - Klauenfluch
sagte ich: »Hier ist alles sehr ruhig im Kloster. Das habe ich nach deinem Anruf gestern nicht erwartet.«
»Es hat sich eben einiges geändert.«
»Aber das Buch gibt es noch – oder?«, fragte Suko.
»Natürlich.«
»Können wir es denn sehen?«
Godwin schaute leicht irritiert. Wie ein Mensch, der mit seinen Gedanken nicht bei der Sache ist.
»He, Godwin!«
Er trank von seinem Wasser. Danach gab er uns eine ausweichende Antwort. »Ihr könntet es sehen, wenn es hier wäre.«
»Dann ist es weg?«, sagte ich.
»Ja.«
»Und wohin hast du es geschafft?«
»Ich weiß es nicht!«
Mit allem hätten wir gerechnet, nicht aber mit einer derartigen Antwort.
Suko und ich schauten uns an. Es war uns egal, ob Godwin den verwunderten Blick bemerkte, den wir tauschten, oder nicht. Wir jedenfalls hatten den Eindruck, auf einem anderen Templerführer gestoßen zu sein. Er strahlte nicht mehr die Ruhe und Sicherheit aus, die wir von ihm kannten. Er war in seinen eigenen Betrachtungen versunken. Am Telefon hatte er sich anders angehört.
»Du weißt es nicht?«
»Ja.«
»Aber es ist hier gewesen?«
Er nickte.
»Und wer hat es mitgenommen?«, fragte Suko.
Godwin schaute uns beide an. Er überlegte. Seine Hände lagen auf dem Tisch. Er spielte mit den Fingern, auch ein Zeichen der Nervosität. Auf der Stirn, dicht unter dem Haaransatz, sahen wir einige Schweißperlen.
Er hatte Probleme, aber er öffnete sich uns gegenüber nicht. Das empfand ich nicht als gut.
Ich beugte mich leicht über den Tisch. »Bitte, Godwin, was ist geschehen? Was passierte mit dem Buch? Du hast uns gesagt, dass es jemand mitgenommen hat. War es ein Fremder? Ist ein Dieb hier eingestiegen, der es stahl?«
»Nein, das nicht.«
»Dann hat das Buch ein Bekannter?«
Er hob die Schultern.
Suko kam eine Idee. »Kann es sein, dass deine neue Frau im Besitz des Buches ist?«
Der Templer schrak leicht zusammen. Er leckte über seine Lippen, und die Haut um seinen Mund herum zuckte einige Male.
»Du weißt es nicht?«
»Nein.«
»Aber Sophia ist noch bei dir?«, fragte ich.
Er runzelte die Stirn. Dann wiederholte er leise den Namen seiner Frau. Das war alles.
Man konnte es drehen und wenden, das Ergebnis blieb gleich. Es war nicht der Godwin de Salier, den wir kannten. Er sah zwar aus wie immer, aber sein Verhalten machte uns misstrauisch, und da gab es noch den Blick seiner Augen, der so… nun ja, verschwommen und nach innen gekehrt war. Er nahm die Außenwelt zwar wahr, nur registrierte er nicht, was in ihr passierte. Diesen Eindruck musste man einfach bekommen.
Ich hätte verdammt gern gewusst, was in den vergangenen Stunden hier alles passiert war.
»Kannst du nichts sagen, Godwin?«
»Ich weiß nicht, wo sich Sophia aufhält.«
»Ist sie schon lange weg?«
Er überlegte, schaute auf die Uhr und verzog die Lippen zu einem Lächeln.
»Du weißt es nicht?«
»Ja, das ist so. Ich weiß es nicht.«
»Ist sie von allein gegangen?«
Jetzt hätte eine Antwort erfolgen müssen, aber wir hörten sie nicht.
Er schaute ins Leere und legte die Stirn in Falten. Dann schaute er gegen den Schreibtisch und flüsterte: »Ich glaube nicht, dass sie von allein ging.«
»Hat man sie dazu genötigt?«
Godwin fuhr mit beiden Händen durch sein Gesicht. Allmählich tat er uns Leid, denn er stand unter einem großen Druck. Er schaute uns auch nicht mehr an, sondern blickte vorbei in eine bestimmte Richtung und auf einen bestimmten Gegenstand.
Ich brauchte nur etwas den Kopf zu drehen, um Bescheid zu wissen.
In seiner Blickrichtung stand der Knochensessel wie ein unerschütterliches Denkmal. Ich kannte die Funktion des Sessels und hatte sie schon mehrere Male ausprobieren können.
»Hat er damit zu tun?«
Godwin wusste nicht, ob er nicken oder den Kopf schütteln sollte.
»Ich denke.«
»Aber du weißt es nicht?«, fragte Suko.
»Genau.«
»Warum weißt du es nicht?«
»Kann ich nicht sagen. Ich… ich …« Er sah uns fast bittend an.
»Etwas hakt hier bei mir im Kopf. Ich sehe die Gegenwart, aber die Vergangenheit ist irgendwie verschwunden. Tut mir Leid, wenn ich das sage, aber ich kann nichts dafür.«
»Godwin, du hast uns gerufen. Du hast von der Bibel des Baphomet gesprochen. Von einem sehr gefährlichen und auch wichtigen Buch. Wir hatten gehofft, es hier zu finden, aber jetzt…«
Er schaute mich an. »Ein Buch?«
»Ja. Soll ich es noch mal wiederholen?«
»Nein, nein.« Er tippte gegen seine Stirn. »Ihr müsst mich
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