1407 - Klauenfluch
durchdringen.
»Godwin…«
Er schrak zusammen.
»Bitte, wir müssen weiterkommen. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, deine Erinnerungen zurückzuholen.«
»Wie denn?« Er schüttelte traurig den Kopf. »Wenn ich nachdenke, verschwimmt alles in einer grauen Soße, und die Dinge lösen sich auf.«
»Du hast eines vergessen.«
»Was?«
»Den Würfel!« Mir war die Idee ganz plötzlich gekommen, und ich lauerte darauf, wie er reagieren würde.
Zuerst tat er nichts, dann wiederholte er meinen Vorschlag und sprach mit einer Stimme, als wäre ihm der Würfel fremd.
»Du musst es versuchen – bitte. Es ist die einzige Chance, die wir haben. Denk daran, wie oft der Würfel dir schon die Wahrheit präsentiert hat. Er kann dich nicht belügen, Godwin. Ihr beide zusammen, ihr werdet es schaffen, davon bin ich überzeugt.«
»Und was… was soll ich tun?«
»Nimm ihn! Konzentriere dich! Schicke ihm deine Gedanken, deine Wünsche. Versuche eine Verbindung zu deiner Frau herzustellen. Ich weiß nicht, ob es gelingt, aber es ist eine Chance.«
Ich hatte nahezu beschwörend auf ihn eingeredet.
Noch nie hatte mich der Templer mit einem derartigen Ausdruck in den Augen angeschaut. Aber ich musste hart bleiben, er gab keinen anderen Weg.
Dass der Würfel auf dem Schreibtisch stand, an dem wir saßen, hatte er gar nicht richtig mitbekommen. Suko, der sich bisher herausgehalten hatte, griff nach dem Würfel und schob ihn in seine Richtung, bis er vor Godwin de Salier stand.
»Bitte!«, sagte ich.
»Und jetzt?«, fragte er, als hätte er den Würfel noch nie in seinem Leben gesehen.
»Fass ihn an. Leg deine Hände um die Seiten, und dann konzentriere dich auf deine Frau. Denk an Sophia – an sie kommst du unter Umständen besser heran als an Saladin.«
»Gut, wenn du meinst.«
Der Templer zog die Augenbrauen zusammen. Er schien noch mal nachdenken zu wollen.
Dann aber legte er seine beiden Hände auf die Seiten des Würfels – und…
***
Ich habe es geschafft!
So hallte es in seinem Kopf. Das Leben hatte ihn wieder. Er konnte durchatmen.
Saladin öffnete wieder die Augen, ohne erkennen zu können, wohin er schaute. Die Welt um ihn herum war eine andere geworden.
Sie setzte sich aus Dunkel und Hell zusammen. Ein Muster, an das er sich erst gewöhnen musste und das sich nur allmählich auflöste.
Saladin erkannte Umrisse, aber er wusste nicht, wo er gelandet war. Es stand nur fest, dass er am Boden lag. Erschöpft, mit sich selbst noch im Unreinen. Er hörte sich keuchen und wollte abwarten, bis er wieder okay war.
Er war aus dem Raum verschwunden. Sicherlich sogar aus dem Kloster, denn hier in der Umgebung herrschte ein anderer Geruch.
Muffig, nach alten Kleidungsstücken.
Und es war dunkel!
Das bereitete Saladin allerdings keine Probleme. Für ihn zählte allein, dass er noch am Leben war, und er würde es auch weiterhin bleiben.
Hass gegen den Knochensessel stieg in ihm auf. Wenn sich die Gelegenheit ergeben sollte, wollte er ihn zerstören.
Das aber war Zukunftsmusik. Die Gegenwart lag näher. Aus ihr musste er etwas machen.
Die Dunkelheit hüllte ihn ein wie schwarze Tinte. Aber er fand heraus, dass er nicht in einem großen Raum lag, sondern recht beengt.
Er setzte sich hin.
Das klappte gut, denn er stieß nicht mit dem Kopf gegen ein Hindernis. Er sah es als Vorteil an und breitete nun seine Arme aus.
Um festzustellen, dass sie gegen etwas stießen!
Holz, kein Gestein.
Er klopfte.
Die Geräusche klangen hohl. Also war er gegen einen bestimmten Körper gestoßen.
Tiefes Durchatmen. Verhaltene Freude. Auch ein Kichern konnte er nicht unterdrücken. Er hatte es geschafft. Auch wenn sein Hals schmerzte, er fühlte sich wohl in seiner Lage. Es hätte auch anders kommen können.
Sein dunkles Gefängnis war nicht besonders breit, das hatte er schon festgestellt. Nun lag eine neue Entdeckung vor ihm, denn er stellte fest, dass es nicht nur finster in seiner unmittelbaren Umgebung war. Nicht weit von ihm entfernt sickerte Licht in die Dunkelheit.
Als Saladin genauer hinschaute, fiel ihm auf, dass es ein Spalt war, durch den sich das Licht freie Bahn verschaffte.
Er brachte sein Auge dicht an den senkrecht verlaufenden Spalt heran und schaute in ein helleres Zimmer. Viel sah er nicht. Er lag auch nicht hinter einer Tür, zumindest nicht hinter einer normalen, denn als er sich erhob, nicht mit dem Kopf anstieß und um sich tastete, war ihm schnell alles klar. Er benötigte nicht mal Licht, um zu
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