1408 - Der Totenholer
eingegriffen?«
»Ha, und ob. Den Erfolg sehen Sie ja. Dieser Leichenholer griff sie an. Sie bekamen die verdammte Klaue zu spüren. Sie konnten nicht mehr ausweichen. Soll ich Ihnen sagen, wie ihre Gesichter jetzt aussehen? Ich habe sie noch gesehen, bevor sie verbunden wurden.«
»Wir glauben Ihnen«, sagte ich.
»Jedenfalls hat dieser Unbekannte dafür gesorgt, dass er an seiner Tat nicht gehindert wurde. Er hielt sich die Kollegen vom Leib. Er verletzte sie schwer, und mir kommt es noch jetzt wie ein Wunder vor, dass die beiden noch am Leben sind. Der hätte ihnen mit seiner verfluchten Waffenhand auch die Köpfe absäbeln können.«
Wir ließen dem Sergeant eine kurze Pause. Dann fragte ich weiter.
»Haben die beiden Zeugen gesehen, was weiterhin passierte?«
»Ja, das haben sie. Der Unbekannte holte den Toten aus dem Wagen und ist mit ihm verschwunden.«
»Wohin?«
Lindsay deutete gegen den lichten Wald. »Dorthin. Er schleuderte die Leiche über die Schulter und war weg.«
Bill und ich schauten uns an. Fast zugleich hoben wir die Schultern und deuteten an, dass wir recht ratlos waren.
»Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Doch. Eine genauere Beschreibung hätte ich gern.«
Der Sergeant schüttelte den Kopf. »Die Zeugen haben ja kein Gesicht gesehen. Er war vom Kopf bis zu den Füßen verhüllt. Eingepackt in schwarze Kleidung. Das müssen Sie sich mal vorstellen. Für mich ist alles ein Rätsel, aber ich kenne meine Kollegen und weiß, dass sie sich so etwas nicht ausdenken. Zudem habe ich erfahren, dass es nicht der einzige Tote gewesen ist, der geholt wurde. Allmählich wird daraus ein Ritual.«
»Gut gefolgert.«
»Und können Sie sich vorstellen, was diese Gestalt mit den Leichen anstellt?«
»Nein, das kann ich nicht.«
»Obwohl Sie Experte sind?«
Ich winkte ab. »Lassen Sie mal die Kirche im Dorf. Wichtig ist, dass wir diese Unperson finden.«
»Fast habe ich den Eindruck, dass diese Gestalt kein Mensch ist, sondern irgendetwas, das ich nicht beschreiben kann. Ein Monster, ein Unhold oder etwas in diese Richtung.«
»Manchmal sind Monster und Menschen identisch.«
»Da sagen Sie was.«
Ich konnte mir vorstellen, dass der Kollege froh darüber war, den Tatort verlassen zu können. Für die Verletzten stand ein Krankenwagen bereit. Da uns Sergeant Lindsay alles Wissenswerte erzählt hatte, war es nicht nötig, die beiden Zeugen zu befragen, denn sie hätten uns auch nicht mehr sagen können.
»Es wurde nur gesehen, dass sich dieser Leichendieb in den Wald zurückgezogen hat?«
»Ja, so war es.«
Ich schaute mir den Waldrand genauer an. Die Bäume standen hier noch weiter auseinander. Es gab genügend Zwischenräume, durch die der Leichendieb hatte verschwinden können. Weiter entfernt verdichtete sich der Wald, und ich wollte wissen, ob er schon durchsucht worden war.
»Nein, das haben wir nicht getan. Der Leichenstehler hatte alle Zeit der Welt, der ist längst über alle Berge.«
»Haben Sie schon nach Spuren suchen lassen?«
»Ja, soweit es bei diesem Licht möglich war. Fingerabdrücke haben wir natürlich nicht gefunden, dafür aber Abdrücke von Füßen, die in der weichen Erde recht gut zu sehen sind.«
»Wo?«
»Kommen Sie.«
Ich holte meine kleine Leuchte hervor. Bill blieb an meiner Seite. In der Nähe des Wracks blieben wir stehen. Die gesamte vordere Hälfte war zerstört. Es gab keine heilen Scheiben mehr, es gab überhaupt nichts, was heil geblieben war.
Der nicht sehr große Kegel meiner Lampe wanderte über den etwas feuchten Boden hinweg. Altes Laub verteilte sich dort. Das war alles.
Bis eben auf die Abdrücke. Besonders gut waren sie nicht zu erkennen. Man hatte sie auch noch nicht mit Gips ausgegossen. Ich strahlte die Abdrücke an und hörte Bills Kommentar.
»Übergroße Füße hat er nicht gehabt.«
»Stimmt.«
»Dann könnte man davon ausgehen, dass es sich bei dem Totendieb um einen Menschen handelt.«
»Bis auf die rechte Hand.«
»Da wird er sich etwas zurechgebastelt haben. Ein bewegliches Gelenk, alles künstlich. Von einem Mechaniker gerichtet. Du weißt doch selbst, was man heute alles machen kann.«
»Ja, das ist wohl wahr. Ich frage mich nur, warum sich der Typ die Leichen holt.«
»Weil er sie braucht.«
»Und wofür?«
»Wer braucht Leichen, John?«
»Ein Ghoul.«
»Eben.«
»Daran habe ich auch gedacht. Ghouls stinken zumeist nach Verwesung. Deshalb werde ich mich erkundigen, ob die Zeugen etwas in diese Richtung gerochen
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