1408 - Der Totenholer
niemand von außen hineinschauen konnte.
An der Fahrer- und Beifahrerseite verhielt es sich anders. Da fielen unsere Blicke auf zwei leere Sitze.
Wo steckte der Fahrer? Warum hatte er seinen Wagen abgestellt?
Wollte er etwas wegschaffen?
»Was hast du für ein Gefühl?«, fragte Bill.
»Kein gutes.«
»Ich auch nicht.« Mein Freund runzelte die Stirn. »Warum hält hier jemand mitten in der Prärie?«
Ich musste bei der Antwort passen, aber ich schaute nach rechts in ein Feld hinein und auch darüber hinweg. Wenn mich nicht alles täuschte, stand nicht allzu weit entfernt ein kleiner Bau. Keine Hütte, sondern schon etwas größer. Es konnte eine Scheune oder ein Schuppen sein. Zwischen ihm und der Straße allerdings bewegte sich nichts.
Bill war zum Heck des Fahrzeugs gegangen. »Ich öffne mal die Klappe!«, rief er mir halblaut zu.
»Okay.«
Wenig später – ich hatte meinen Freund noch nicht erreicht – hörte ich seinen leisen Ruf. Er klang nicht eben freudig, eher das genaue Gegenteil davon.
Ich lief zu ihm.
Die Klappe war nicht verschlossen gewesen, was uns wunderte.
Bill hatte sie angehoben, und im Wagen war die Innenbeleuchtung angegangen. Sie reichte aus, um das erkennen zu können, was sich im Wagen befand.
Man hatte die letzten Sitz gekippt, um mehr Platz zu haben. Platz für eine Leiche…
***
Ich atmete zunächst tief durch. Dabei schlugen die Gedanken in meinem Kopf Purzelbäume. Obwohl ich den Toten im Autowrack nicht gesehen hatte, war mir sofort klar, dass dieser hier es nicht sein konnte.
Hier lag ein Toter, der bereits für den Sarg und für die anschließende Beerdigung hergerichtet worden war. Er trug ein Totenhemd, das bis zum Hals geschlossen war. Weißes Haar wuchs struppig auf seinem Kopf. Der Mund stand offen, als wollte er noch einen letzten Atemzug nehmen.
Hinzu kam, dass der Mann alt war. Man konnte ihn durchaus als einen Greis bezeichnen.
»Und jetzt?«, fragte Bill leise.
»Haben wir wohl einen zweiten Toten, den unser unbekannter Dieb gestohlen hat.«
»Das sehe ich auch so.«
Es brannte zwar Licht, trotzdem holte ich meine kleine Lampe hervor. Ich leuchtete die Umgebung der Leiche ab und sah die dunklen Flecken, die ich schon kannte. Trotzdem prüfte ich mit dem Finger nach.
»Blut«, murmelte ich.
»Dann hat unser Unbekannter Leichendieb zwei Tote transportiert«, schlussfolgerte Bill, »wobei er mit dem zweiten nicht viel anfangen konnte und ihn aus dem Wagen geschafft hat. Ich gehe davon aus, dass er den Verunglückten mehr zufällig entdeckt hat. Er ist nur scharf auf Leichen, die noch aussehen wie normale Menschen und nicht wie… na ja, du weißt schon.«
»Gut gedacht. Du könntest direkt bei uns anfangen.«
»Dann müssten wir zuvor über das Gehalt reden.« Bill drehte sich um. »Wo steckt der zweite Tote?«
»Die Frage ist leicht zu beantworten. Er wird ihn als Ballast angesehen haben und ist nun dabei, ihn wegzuschaffen.«
»Und wohin?«
Ich drückte die Heckklappe wieder zu, löschte auch das Licht meiner Lampe und deutete schräg in das Feld hinein, und zwar dorthin, wo wir die Umrisse einer Hütte oder kleinen Scheune mehr ahnten als sahen.
»Meinst du?«
»Sag mir eine bessere Möglichkeit.«
Bill hob die Schultern. »Ich weiß leider keine. Das ist ja mein Problem.«
»Dann gibt es nur eine Lösung.«
Der Reporter ließ mich nicht ausreden. »Nachschauen, meinst du?«
»Genau.«
Es machte keinen Spaß, über den feuchten Acker zu gehen. Hätten wir hohe Stiefel getragen, wäre das kein Problem gewesen, so aber lagen die Dinge anders, den der Bauer hatte den Acker bereits bearbeitet.
Hinzu kam noch etwas, das uns nicht gefiel. Es gab keine Deckung auf dieser Fläche. Von der Hütte aus konnte man uns genau beobachten.
Der Boden war weich, und wir sackten recht tief ein. Ein normales Gehen war nicht möglich, wir schwankten hin und her und mussten immer daran denken, dass man uns von der Hütte aus vielleicht beobachtete.
Doch nichts tat sich. Keine Bewegung an der kleinen Scheune. Ob das Tor ganz verschlossen war, konnten wir nicht erkennen.
Etwas eine Körperlänge vor der Scheune blieben wir stehen. Hier war der Boden nicht mehr so weich, sondern offenbar von zahlreichen Füßen festgetrampelt worden.
»Gehen wir hinein?«, fragte Bill.
»Hast du einen besseren Vorschlag?«
»Ich könnte nach einem zweiten Ausgang suchen und ihn versperren.«
»Gute Idee. Aber hast du eine Waffe?«
Bill kniff mir ein Auge zu.
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