141 - Dämonenbilder sieht man nicht
Betriebsamkeit.
„Habbediähre Herr Nachbar", wurde er unvermittelt angesprochen. „Ham'S vielleicht a Feier für mi?"
„Naa, des hab i net", erwiderte er kopfschüttelnd und wandte sich wieder dem Fahrplan zu, den er hastig überflog. Zum einen war er Nichtraucher, zum anderen hatte er es eilig - und das mit gutem Grund. In einer Viertelstunde ging der nächste Zug vom Starnberger Bahnhof ab.
Genau zehn Minuten später besaß Burian Wagner seine Rückfahrkarte, saß allein in einem Abteil des Schnellzugs und beobachtete das Treiben auf dem Bahnsteig, ohne wirklich zu registrieren, was vor sich ging. Inzwischen war er soweit, daß er sich auf die Fahrt freute.
Sie fror, und ihr war hundeelend zumute. Der dünne Stoff des Nachthemds vermochte sie kaum vor der im Zimmer herrschenden Kälte zu schützen. Vor ihrem Gesicht hing der Atem als wirbelnde weiße Wolke.
Die Heizung mußte ausgefallen sein.
Aber dann formte sich der Gedanke, daß es noch nicht die Jahreszeit war, da man heizen mußte. Irritiert stellte sie fest, daß sie auf dem Boden lag. Sie hatte sich im Teppich verkrallt; die Fingernägel waren abgebrochen und die Kuppen aufgeschürft und blutig.
Angestrengt lauschte sie dem Pochen ihres Herzens. Es war ruhig ringsum, nur von der Straße drang gedämpftes Rumoren herauf. Staub flimmerte in den wenigen Sonnenstrahlen, die durch die geschlossene Jalousie hereinfielen.
Erneut sprang das Grauen die Frau an, als ihr Blick das zerwühlte Bett streifte, den herabgerissenen Vorhang und das zerbrochene Kreuz auf dem Bettvorleger. Das alles konnte nicht wahr sein. Hilfesuchend kroch sie zu dem Kreuz und fügte die Bruchstellen zusammen. Daß sie noch immer lebte, bedeutete vielleicht, daß die Gefahr vorbei war. Sie bemühte sich, ruhiger zu atmen, aber einen klaren Kopf zu gewinnen, fiel schwer. Zitternd preßte sie das Kreuz zwischen ihre Brüste.
Das gallertartige Monstrum war verschwunden.
Nur mit einer Hand zog Brigitte Maibauer die Jalousie auf. Die hereinflutende Helligkeit tat gut. Eine ganze Weile stand sie nur da und starrte das Bett an. In diesem Zimmer würde sie nie wieder ruhig schlafen können.
Allmählich wurde ihr klar, daß sie die Polizei rufen mußte. Oder die Feuerwehr, oder sonst wen. Ganz egal, wenn sie nur nicht allein blieb. Doch das Telefon stand in der Eßdiele. Sie nahm all ihren Mut zusammen, als sie zur Tür ging. Ihre Rechte faßte nach der Klinke - von dem Messing strömte ebenfalls eine eisige Kälte aus.
Instinktiv hielt sie das einfache Holzkreuz vor sich, bevor sie die Klinke zaghaft niederdrückte.
Noch immer rührte sich nichts. Aber das Unheimliche war spürbar. Weder aus der Wohnung über ihr, noch von unten waren Schritte oder gar Stimmen zu hören.
Die Tür ging nach innen auf. Vorsichtig trat die Frau zurück.
Dem entsetzten Aufschrei folgte ein hemmungsloses Schluchzen, als sie sich ihrem Mann an die Brust warf. Er stand unter dem Türrahmen und war offenbar eben im Begriff gewesen, das Schlafzimmer zu betreten. „Hans", stammelte sie. „Hans, du …"
„Beruhige dich erst einmal. Du bist ja völlig außer dir."
Sie schüttelte den Kopf. „Ich… kann nicht… Es war schrecklich."
Sein Blick schweifte durch das Schlafzimmer, blieb mißbilligend am Fenster hängen und kehrte dann zu ihr zurück.
„Wir müssen die Polizei rufen!"
„Immer der Reihe nach." Sanft schob er sie vor sich her, als scheue er eine feste Berührung. Ihr schien es nicht einmal aufzufallen.
„Warst du das?" Maibauer deutete auf das Kreuz, das sie noch immer in der Hand hielt. „Tu es weg!"
Sie standen wieder im Schlafzimmer. Seine Frau legte beide Teile auf die Kommode. Augenblicke später schlug die Tür hinter ihnen zu.
„Nicht jetzt, Hans, bitte." Vergeblich stemmte sie sich gegen seinen Griff, als er sie an sich zog. Er lachte nur. Es war sein sanftes, gutmütiges Lachen, das sie so sehr an ihm schätzte. Aber der Blick seiner Augen war anders. Brigitte Maibauer sah in kalte, gefühllose Pupillen, die sie schaudern ließen.
Sein Gesicht begann zu zerfließen. Das Geschehen war noch um vieles schrecklicher als in der vergangenen Nacht, da die Helligkeit jede Einzelheit erkennen ließ. Die Frau schrie hysterisch auf, kratzte und schlug wie rasend um sich.
Dann spürte sie, wie auch sie sich zu verändern begann.
„Ja, ja", schimpfte Harald Branner, „ich komme schon." Das stürmische Klingeln hatte ihn aus dem ersten Schlaf aufgeschreckt. Irgend jemand machte
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