141 - Dämonenbilder sieht man nicht
eine seiner früheren Patientinnen, mit einem unerschütterlichen Glauben an alles Heilsame in der Natur. Von oben bis unten musterte sie ihn durchdringend, als er die Anmeldung ausfüllte, wurde sich aber offenbar nicht schlüssig, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte.
„Sie kommen aus München?" wollte sie wissen.
„Aus Andorra", lächelte er.
„Mei, ich kenn eigentlich nur Germering. Ein gewisser Herbert Knobloch aus Germering hat nämlich meine Pension von Grund auf renoviert. Liegt Andorra nördlich?"
„In den Pyrenäen", erklärte Wagner.
Der Blick der Wirtin nahm einen sehnsuchtsvollen Ausdruck an. „Das klingt so österreichisch", stellte sie fest. „Ob Sie's glauben oder nicht, mei Lebtag war ich noch nicht in Österreich."
Burian mußte sich ein Lachen verbeißen. „Ich glaub's Ihnen bestimmt", sagte er. „Aber jetzt möchte ich mich ein wenig frisch machen. Die Reise war anstrengend. Ich bin seit über zwanzig Stunden auf den Beinen."
Abgesehen von dem Eifer der Wirtin, ihre Gäste kennenzulernen und über sich selbst zu reden, hatte er es ganz gut getroffen. Sogar ein kleiner Kühlschrank stand im Zimmer. Burian nahm ein Bier heraus und trank aus der Flasche. Dann packte er seinen Koffer aus, sein Rasierzeug, den dunklen Anzug, Schuhe, Hemd und Krawatte.
Was er dann tat, hätte die Frau wohl mit Kopfschütteln betrachtet, falls sie ihn nicht gleich für verrückt erklärt hätte. Eine der Gnostischen Gemmen legte er unter das Kopfkissen, eine andere hängte er an den Fenstergriff und die dritte an die Türklinke, daß sie unmittelbar vor dem Schlüsselloch baumelte. Die übrigen Dämonenbanner verstaute er in seinem Anzug und im Bad, und schließlich begann er mit einem Stück weißer Kreide magische Zeichen auf den Fensterrahmen und das Türfutter zu malen. Daß es in Garmisch Dämonen gab, hatte er am eigenen Leib erfahren müssen, und vorbeugen war bekanntlich besser als heilen. Nach dieser Prozedur war er vor bösen Überraschungen zwar nicht gänzlich geschützt, aber doch immerhin einigermaßen sicher. Zumindest würde es ihm rechtzeitig auffallen, falls ungebetene Gäste versuchten, sein Zimmer zu betreten. Burian Wagner duschte ausgiebig, dann zog er den Anzug an und verließ die Pension. Zuerst begab er sich zum Friedhof. Er besuchte das Grab seiner Eltern. Ein frisches Grab fand er nicht - ebensowenig war jemand in der Leichenhalle aufgebahrt. Eine Reihe von Fragen wälzend, auf die er keine plausible Antwort wußte, begab er sich dann in Richtung Spielkasino, in dessen unmittelbarer Nähe Gerda Gruber mit ihrer Tochter Elsbeth eine kleine Drei-Zimmer-Wohnung bewohnte. Wenigstens war das vor einigen Jahren so gewesen.
Burian fand alles nahezu unverändert vor; sogar das abgegriffene Klingelschild war noch immer nicht ausgewechselt worden. Auf sein Klingeln hin öffnete jedoch niemand.
Also versuchte er es bei der Nachbarin. Geduldig wartete er. Die Lorenz mochte inzwischen siebzig sein, und sie war nie die Schnellste gewesen. Tatsächlich wurde erst nach einigen Minuten ein Fenster im ersten Stock geöffnet.
„Wer ist da? Hallo?"
Burian trat mehrere Schritte von der Haustür zurück. „Ich bin's", sagte er.
„Wer ist ich?" krächzte es aus der Höhe. Gleich darauf folgte ein erstickter Aufschrei. „Jessas, des is doch der Burian. Bist es wirklich, Bua?"
„Freilich", nickte er.
„Willst zur Gerda und zur Elsbeth, gell. Sind beide net da. Aber soll i was ausrichtn?"
„Was macht die Elsbeth?"
„In der Arbeit is' halt. A halbs Jahr arbeits na scho beim Doktor. Und tüchtig is, das Madl."
„Geht's ihr gut?" wollte Burian wissen.
„Des kannst denka, Bua", posaunte die Lorenz lautstark in die Nachbarschaft hinaus. „Kommst nauf zu mir, wannst wartn willst. An Kaffee kannst ham und an Kuchn."
„Danke", wehrte er ab. „Ich gehe gern noch durch die Stadt. Manches hat sich verändert, seit ich fort bin."
„Nachher werd ich's der Gerda und der Elsbeth ausrichten, daß du da warst."
Inzwischen war Burian klargeworden, daß einiges anders war als erwartet. Gut eine Stunde ging er vor dem Wohnhaus auf und ab, bis er dessen endgültig überdrüssig wurde und er müde zur Pension zurückkehrte. Auf der Straße, kurz vor dem Nachbarhaus, traf er den Antiquitätenhändler Carlos.
Sie waren früher Stammtischbrüder gewesen. Carlos gab sich allerdings recht einsilbig, er schien es eilig zu haben. Vermutlich ging es ihm um ein gutes Geschäft.
„Vielleicht sehen wir
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