141 - Dämonenbilder sieht man nicht
uns noch", sagte er, bevor er das nebenan liegende Mietshaus betrat. „Es würde mich freuen."
„Wir könnten über alte Zeiten plaudern", nickte Burian.
Auf der Treppe, die zu seinem im zweiten Stock liegenden Zimmer hinaufführte, kam ihm die Wirtin entgegen. Sie schien auf ihn gewartet zu haben.
„Herr Wagner, wos san denn Sie für einer?" fragte sie in einer seltsamen Mischung von Dialekt und Hochdeutsch. „Die Fenster ham S' bemalt und die Tür. Ich hatte je schon viele seltsame Gäste, aber so etwas …" Entrüstet schüttelte sie den Kopf, blickte Burian dann plötzlich herausfordernd an. „San Sie womöglich a Maler, einer von denen, die des neumodische Zeugs aufs Pflaster und an d'Hauswänd schmiern?"
„Sie waren in meinem Zimmer?" erwiderte Burian irritiert.
„Freilich. Lüften wollt ich halt." Sie schüttelte immer noch den Kopf. „Was soll'n die Leut von mir denken, wenn's von unten naufschaun und des Geschmier an der Scheibe sehn?"
„Ich verspreche Ihnen, ich wische alles wieder ab, bevor ich ausziehe." Burian konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Naaa", protestierte die Wirtin. „Das hab ich scho gmacht. Ich wollte Ihnen nur sagen, was ich davon halte." Sprach's und hastete die Treppe hinab, ohne Burian eines weiteren Blickes zu würdigen. Ihr Ärger war unverkennbar.
Burian Wagner betrat sein Zimmer. Frische, nach Putzmitteln riechende Luft wehte ihm entgegen. Ein Fensterflügel war gekippt, der Vorhang einen Spaltbreit geöffnet. Die beiden Gnostischen Gemmen waren von ihren Plätzen entfernt worden und lagen nebeneinander auf dem Nachttisch. Einen Moment lang zögerte Burian, dann holte er die Kreide aus seinem Koffer und malte erneut Dämonenbanner und andere magische Zeichen auf Tür und Fenster. Danach fühlte er sich ein klein wenig wohler. Er streifte die Schuhe ab und warf sich, angezogen wie er war, aufs Bett.
Die Abendsonne fiel durchs Fenster herein. Staub flimmerte in den scharf abgegrenzten Strahlen. Burian lauschte den vielfältigen Geräuschen, die von der Straße herauf klangen. Selbst der Verkehrslärm wirkte monoton und einschläfernd, und irgendwann forderte die Müdigkeit ihr Recht.
Nur mühsam bezähmte der Antiquitätenhändler seinen Wunsch, das Bild zu besitzen. Schon in dem Moment, in dem er die abblätternde neuere Farbschicht bemerkt hatte, hatte er geahnt, daß es ein Vermögen wert war. Und diese Ahnung war zur Gewißheit geworden, als er den Pinselstrich sah. Abgesehen davon besaß auch das Motiv etwas Faszinierendes, dem sich wohl niemand entziehen konnte. Carlos ahnte, daß diese Ausstrahlung der Grund dafür gewesen war, daß Harald Branner das Bild an sich genommen hatte.
Er mußte es haben, koste es, was es wolle.
Endlich verließen die beiden kleinen Gauner, die keine Ahnung hatten, welchen Schatz sie besaßen, das Haus. Aus sicherer Entfernung hatte der Antiquitätenhändler abgewartet und beobachtet. Daß sein Geschäft an diesem Nachmittag geschlossen blieb, interessierte ihn im Augenblick herzlich wenig. Seine Finger verkrampften sich um den Dietrich in seiner Jackentasche.
Ausgerechnet jetzt mußte ihm der gescheiterte Naturheilpraktiker über den Weg laufen. Carlos' Sehnsucht nach dem Bild wurde von Minute zu Minute größer. Irgendwie schaffte er es sogar, Burian Wagner abzuwimmeln.
Die Haustür stand offen. Carlos hatte es eilig, nahm gleich zwei Stufen mit jedem Schritt. Endlich stand er vor der Tür im Dachgeschoß. Niemand hatte ihn gesehen; überhaupt herrschte eine ungewohnte Ruhe.
Ungeduldig probierte der Antiquitätenhändler und Hehler den Dietrich. Nur Sekunden später sprang die Tür auf. Rasch schlüpfte er hindurch und schloß sie leise hinter sich.
Flackernder Lichtschein fiel aus der halb geöffneten Wohnzimmertür in den dunklen Korridor. Es roch nach Kräutern - und nach Schwefel. Carlos rümpfte die Nase. Befand sich außer ihm noch jemand in der Wohnung? Das Gefühl, beobachtet zu werden, machte sich derart stark bemerkbar, daß 'er unwillkürlich herumfuhr. Doch da war nichts, er hatte es sich nur eingebildet. Vorsichtig schlich er weiter.
Der flackernde Schein stammte von Kerzen, die im Wohnzimmer brannten.
Carlos schüttelte den Kopf, als er die Veränderung sah. Couch und Sessel waren zur Seite gerückt worden, und der Tisch stand nun mitten im Zimmer. Ein weißes Laken verhüllte ihn, fiel bis auf den Boden hinab, daß der Eindruck eines massiven Klotzes entstand. Im Halbkreis dahinter standen sechs
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